2013-02-28

Das Brötchen

Buch

Schallplatte

von Wolf Schmidt



SIE und ER gerieten sich oft um einen kleinen Dreck in die Haare. Denn SIE liebte es nicht, wenn er eine seiner häuslichen Untaten ableugnete, und ER liebte es nicht, wenn sie ihn verdächtigte.

"Schatzel, hast Du etwa das Brötchen aufgegessen?" rief sie ihm eines Tages aufgeregt entgegen, als er noch nicht die Haustür hinter sich geschlossen hatte.

"Welches Brötchen?"

"Na das dritte Brötchen."

"Kindchen, sprich bitte nicht in Kreuzworträtseln. Ich weiß nichts von einem ersten und zweiten, geschweige denn von einem dritten Brötchen."

"Also stell' Dich nicht blöder als Du bist!"

"Aber Engelchen, der absolute Nullpunkt meiner Blödheit ist doch seit unserer Hochzeit längst erreicht", meinte er gleichbleibend freundlich.

"Also, Du hast das Brötchen gegessen, nicht wahr?"

"Welches Brötchen?"

"Das dritte. Ich hatte drei Brötchen in meiner Einkaufstasche. Und jetzt sind nur noch zwei drin!"

"Ich habe überhaupt nicht in Deine Einkaufstasche hineingeschaut."

"Du leugnest also, daß Du es gegessen hast?"

"Ich leugne es nicht, sondern ich habe es nicht gegessen! Sag mal, findest Du es nicht albern, wegen eines Brötchens mit mir eine Art Kreuzverhör anzustellen?"

"Ich finde es viel alberner, daß Du mir erst ein Brötchen aus der Einkaufstasche stiehlst und dann zu feige bist, es zuzugeben."

"S t i e h l s t - ist ja wohl nicht der richtige Ausdruck!" Er wurde nun doch etwas energischer.

"Wir wollen uns nicht um Ausdrücke streiten sondern Tatsachen feststellen", inquirierte sie weiter. "Ich wollte mit den drei Brötchen Reibekuchen machen. Mit zweien geht es nicht mehr. Und wenn Du meine Einkauftasche durchwühlst - -"

"Von durchwühlen kann überhaupt keine Rede sein. Aber selbst wenn ich sie durchwühlt hätte! Ich werde wohl noch in meinem eigenen Hause das Recht haben, ein Brötchen zu essen, wenn es mir Spaß macht!"

"Aber Du hast kein Recht, es dann hinterher abzustreiten."

"Ich streite es ja gar nicht ab."

"Na, das ist doch die Höhe. Du hast doch eben noch behauptet, Du weißt nichts von dem Brötchen."

"Natürlich. Ich weiß ja auch nichts davon."

"Willst Du mich verhöhnen?! Du hast doch eben zugegeben, daß Du es gegessen hast!"

"Ich??!! - - Ich habe gesagt, wenn ich das Brötchen gegessen hätte, dann würde ich es auch zugegeben haben. Aber da ich es nicht gegessen habe - -"

"Wo soll es denn sonst geblieben sein?"

"Was weiß denn ich? Du kannst mich doch nicht für jedes wildfremde Brötchen verantwortlich machen!"

"Es war niemand in der Küche außer Dir!"

"Und das genügt Dir bereits, um mich zu verdächtigen. Deinen eigenen Mann?! Glaubst Du, daß ich wegen eines lächerlichen Brötchens weiter einen solchen Zirkus mitmache?"

"Wer macht denn hier anders Zirkus als Du?!"

"Nun kochen mir aber bald die Kalorien über."

"Es geht ja nicht um das Brötchen sondern um das Prinzip."

"Dann kauf' Dir für 5 Pfennig Prinzip im nächsten Bäckerladen, und die Sache ist erledigt."

"Für Dich vielleicht. Für mich nicht. Was liegt denn mir an dem Brötchen - -"

"Was liegt denn mir daran? Und wenn uns beiden nichts daran liegt - Wozu, mein Goldkind, reden wir denn dauernd davon?"

"Weil Du erst sagst, Du hast es gegessen, und dann wieder sagst, Du hast es nicht gegessen. Mich empört Deine Unlogik!"

"Meine Unlogik!"

"Kannst Du leugnen, daß Du leugnest, daß Du geleugnet hast - -?"

"Ja, ich leugne es", brüllte er jetzt. "Ich leugne alles! Ich leugne meine eigene Existenz. Ich leugne die Existenz jeglicher Brötchen. Aber ich leugne nicht, daß ich mich vergesse, wenn Du noch ein einziges Mal 'Brötchen' sagst!!!"

"Ja, vergiß Dich nur", schluchzte sie. "Mich hast Du ja schon lange vergessen! So wie Du mich schikanierst!"

"Ich schikaniere Dich!? Ich Dich!? Bist Du ganz sicher, daß Du gemeint hast, ich schikaniere Dich? Ach, dieser Weiberlogik ist ja nur mit Atombomben beizukommen."

"Und die Männerlogik? Widerspricht sich viermal in einem Atemzug. Erst hast Du gesagt, Du weißt nichts von dem Brötchen. Dann hast Du gesagt, es ist Dein Recht, es zu essen. Dann hast Du gesagt, Du streitest ab, es gegessen zu haben, dann - --"

"Ja!!!" schrie er außer sich. "Ja! Ich habe das Brötchen gefressen. Ich habe es Dir aus der Einkaufstasche gestohlen. Ich habe die Tat geleugnet, weil ich zu feige war, sie zuzugeben. Und jetzt gebe ich alles zu, was Du willst, weil ich am Ende meiner Kräfte bin! Aaaber wenn jetzt noch ein einziges Mal das Wort 'Brötchen' fällt, werde ich mich erbarmungslos selber demontieren."

Natürlich begann sie nach diesem Gebrüll heftig zu weinen. Tränen waren seine schwache Seite.

"Bitte, heul' nicht. Alles, nur das nicht", lenkte er ein. "Komm, bitte bitte, sprechen wir dann lieber noch ein bißchen von dem Brötchen."

"Wa wu da ta -

"Wie bitte?"

"Wa wu da ta --"

"Wenn es Dir nichts ausmacht, sprich' die Sache mal litte erst ins Trockene."

Ihr Körper wurde von wildem Schluchzen geschüttelt. Sie verstand sich auf das Hochdramatische.

"Engelchen, Liebstes, Goldfasan! Nu weine doch nicht immerzu! Wir hatten doch gerade so nett angefangen, uns gemütlich zu unterhalten. Was sagtest Du eben gerade so richtig?"

"Warum - hast - Du - das - getan?"

"Was?"

"Ohhhhh - -" Ein neuer Weinkrampf.

"Ich habe es getan", rief er eilig und beschwörend, "weil ich ein egoistischer, heimtückischer und bösartiger Rohling bin. Weil ich - -"

"Ach, Du spottest ja wieder nur! Du hast es getan, weil Du mich nicht mehr  - -"

"Weil ich Dich nicht mehr liebe! Ja, ja - jetzt sind wir wieder bei unserm Lieblingsthema angelangt. Weil ich nicht mehr so zu Dir bin wie früher, nicht wahr, weil ich kälter geworden bin, weil ich hinter andern Weibern herschaue und Dich satthabe, wie Du mir immer vorleierst. Bist Du nun zufrieden?! Ich gebe zu, was Du willst, aber hör' mit der Heulerei auf."

Da wurde sie plötzlich kalt und böse: "Du bist ein egoistischer, gefühlsroher Mensch - - -"

"Das ist ja mein Reden."

"Du bist ja pervers -

"Natürlich, das hab ich noch vergessen."

"Ich hasse Dich! Ich könnte Dich in diesem Augenblick ermorden."

"Na bitte, bitte, bediene Dich! Immer feste. Es ist ja klar, daß die Veruntreuung eines Brötchens einen Mord vollkommen rechtfertigt -"

"So sei doch still!! Ich kann Dein zynisches Reden nicht mehr ertragen. Hast Du kein Gefühl dafür, daß jedes Deiner Worte schlimmer ist als Mord? Geh' weg von mir, so geh' doch!!! Und nimm Deine beiden andern Brötchen auch noch mit. Da!!!"

Und damit warf sie ihm ihre Einkaufstasche vor die Füße. Heraus rollten - drei Brötchen.

Schweigend genoß er seinen Triumph.

"Da - das sind ja drei Brötchen", sagte sie schließlich zögernd.

"Wieso", antwortete er von oben herab. "Es sind zwei. Das muß ein Sehfehler sein. Darf ich Dir die zwei Brötchen wieder in Deine Tasche legen?"

"Das dritte Brötchen muß sich ins Futter verwickelt haben."

"Das dritte Brötchen ist überhaupt kein Brötchen. Es ist der Geist des Brötchens, das ich gefressen habe." Er hatte endgültig Oberwasser und zeigte die tragische Miene des unschuldig Verdächtigten.

"Schatzelmann - - da - da - habe ich Dir jetzt aber sehr unrecht getan", piepste sie. "Jetzt schäme ich mich aber doll."

"Erkenntnis der Torheit ist der erste Schritt zur Weisheit", sagte er milde.

"Ja, warum aber hast Du denn um Himmels willen selbst gesagt, daß Du das Brötchen gegessen hast?"

"Mein liebes Kind, es gibt Angeklagte, die eine schnelle Hinrichtung einer langsamen Untersuchung vorziehen."

"Versprich' mir, daß wir uns nie wieder wegen einer solchen Lappalie streiten werden", schmeichelte sie und küßte ihn reuig.

"Na schön, aber wegen was wollen wir uns sonst streiten?"

"Warum muß man sich denn überhaupt streiten?"

"Weil die Ehe sonst viel zu langweilig wäre. Siehst Du, und deswegen hat der liebe Gott dem Weib die Gabe verliehen, um das kleinste Brötchen den größten Krach anzufangen."

"Ach, sag' nur noch, daß wir immer an allem schuld sind."

"Ich werde mich hüten, so was zu sagen. Dann hätten wir in einer Minute schon wieder den schönsten Streit, der dann nur dank meiner männlichen Überlegenheit nicht zu Scheidung, Körperverletzung und Totschlag führen würde", lachte er, nunmehr völlig besänftigt.

"Hihi, männliche Überlegenheit! Ich möchte wissen, worin die besteht?"

"Mein süßes kleines Herzchen", begann er behaglich zu dozieren, ohne die entsetzliche Wendung zu ahnen, die diese Brötchenaffäre gleich noch nehmen sollte. "Unsere männliche Überlegenheit besteht darin, daß wir gegenüber Vorwürfen, Verdächtigungen und hysterischen Szenen unserer Frauen Gleichmut bewahren. Daß wir auch in Augenblicken der Erregung nie unser kühles Denken verlieren. Und daß es für uns, speziell für mich, schlechterdings keine Situation gibt, durch die ich mich zu einem menschenunwürdigen Ausbruch hinreißen ließe, mit einem Wort: daß mich meine eiskalte Gelassenheit niemals auch nur einen Augenblick verläßt."

Sie unterbrach ihn mit plötzlich verdüsterter Miene: "Schatzel, mir kommt da eben ein Verdacht. Waren denn nicht überhaupt vier Brötchen in der Einkaufstasche gewesen?"

Mit einem Wutschrei, der nichts Menschenähnliches mehr hatte, warf er einen gerade neben ihm stehenden Blumentopf mitten in den großen Garderobespiegel hinein.


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