2013-02-19

Grußwort des hr-Intendanten

zum 100. Geburtstag von Wolf Schmidt

Dr. Helmut Reitze

Dr. Helmut Reitze


Hessen ist ein Kunstgebilde. Was über Jahrhunderte auseinander gedriftet war - Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt - wurde von den Alliierten nach dem 2. Weltkrieg mit Nassau und Waldeck zu „Groß-Hessen“ zusammengeschweißt. Damit nicht genug: Fast eine Million Vertriebene aus den Ostgebieten kamen hinzu, die in Hessen eine neue Heimat suchten. Hessen war Stückwerk, ein Flickenteppich. Hessen fehlte eine Identität, ein Gemeinschaftsgefühl, es gab nichts typisch „Hessisches“, mit dem man außerhalb der Landesgrenzen das neue Bundesland sofort identifizieren konnte. Für den Hessischen Rundfunk war es seit seiner Gründung eine der zentralen Aufgaben aus Nordhessen, Südhessen und Nichthessen „Hessen“ zu machen, eine hessische Identität zu entwickeln, die Integration zu fördern. Und ein Bild dieses „Hessen“ zumindest in der Bundesrepublik zu vermitteln.

An dieser Aufgabe hat Wolf Schmidt von Anfang an mit großem Erfolg mitgewirkt. Mit seiner „Familie Hesselbach“ hat er etwas „Hessisches“ erschaffen und damit einen unschätzbaren Beitrag zur Erfüllung des Auftrags des hr geleistet. Die Hesselbachs sind eben nicht „nur“ Unterhaltung, nicht „nur“ die erste Sitcom im Deutschen Fernsehen. Die Hesselbachs haben Identität gestiftet. Das Publikum fand sich in den alltäglichen Problemen und Konflikten dieser Familie wider. Wolf Schmidts Credo war: „Die Ehemänner vor dem Fernsehapparat müssen sagen können: Die hab‘ ich neben mir sitzen. Und die Frauen müssen sagen: O Gott, der sitzt neben mir.“

Wolf Schmidt wollte sein Publikum unterhalten. Mit seinem genialen Sprachwitz, den Dialogen und der Dramaturgie gelang es ihm, die Hesselbachs unsterblich werden zu lassen. Mit dazu beigetragen hat die Sprache, der Dialekt. Auch wenn es „Hessisch“ als Dialekt nicht gibt, wie Schmidt selbst immer wieder betonte, so schuf er doch ein „Export-Hessisch“, das dem Bundesland eine Sprachmelodie verlieh und damit eben das so wichtige Erkennungsmerkmal für „Nicht-Hessen“. Viele geflügelte Worte und Begriffe sind der Serie entsprungen wie der „Röhrende Hirsch“ und natürlich der Ausruf „Kall, mei Drobbe!“ Ähnlich wie bei Derriks „Harry, hol schon mal den Wagen“ ist der Schlachtruf von Mamma Hesselbach in der Fernsehserie nie gefallen. Sehr wohl allerdings in den Folgen fürs Radio, die in den Jahren vor dem Fernsehen ausgestrahlt wurden. Was zeigt, dass sich bereits die Hörfunkserie tief in das kollektive Gedächtnis der, ja der Hessen, eingegraben hatte und seitdem von Generation zu Generation weiter gegeben wird.

Für den Hessischen Rundfunk war Wolf Schmidt und die Familie Hesselbach schlicht ein Glücksfall. Denn neben der schweren Aufgabe, den Hessen ein Gefühl für ihr neues Bundesland, ihre neue Heimat zu vermitteln, galt es, den hr selbst beim Publikum vorzustellen. Was hatte dieser neue Sender zu bieten? Neben Information und Bildung eben auch Unterhaltung von höchster Qualität. Auch hier wirkte die Familienserie identitätsstiftend, weil die Menschen in Hessen positive Erlebnisse verbanden und nicht mehr vom Frankfurter Sender sprachen, sondern von „ihrem hr“. Diese Verbindung ist bis heute erhalten geblieben.

Ein Bundesland, ein Sender, ein Hessen, so empfinden es viele der sechs Millionen Menschen in Hessen. Dass es so ist, daran hat Wolf Schmidt einen großen Anteil. Der Hessische Rundfunk wird ihm immer ein dankbares Andenken bewahren.

Ihr

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Dr. Helmut Reitze, Intendant des Hessischen Rundfunks



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