2013-01-28

»Kall, mei Drobbe!«

Die stehende Redewendung, auch Nichthessen zumeist ein Begriff, stammt noch von der Hörfunk-Mamma Lia Wöhr. Nach Reinhard Frost, der den nachfolgenden Aufsatz verfasste, ist der Ruf nach dem rettenden Elexier "fast schon ein Synonym für die hessische Mundart und gewiss so populär wie das bajuwarische »ozapft is«".

An dieser Stelle darf nach über 70 Jahren ein Geheimnis verraten werden, nämlich wie der Originalruf geklungen hat:

»Schorsch! Bring ma'ramol mein' Durian!«

Die Bestellung erfolgte auf böhmisch, die Bestellerin hieß Marie und war Wolf Schmidt's sudetendeutsche Schwiegermutter, Schorsch der dazu gehörende Gatte. Mit Durian war Dujardin gemeint, es durfte aber auch ein Melissengeist sein, die Funktion der guten Tropfen war immer die gleiche, und auch genau dem gleichen Zwecke dienend, wie dies in den Hesselbachs geschildert wurde.

Dass Hessen für den Durchschnittsdeutschen zwischen Westerland und Berchtesgaden mit einer so trivialen Formel wie "Kall mei Drobbe!" umrissen werden kann, geht also auf ein böhmisches Konto. Und das ist typisch, denn Wolf Schmidt liebte die Sprache, die Sprachen und deren Dialekte. Er selbst sprach zuhause so dialektfrei, dass wir Kinder Hessisch als etwas fremdes, kurioses empfanden, wenn wir es hörten.

Michael

Übersicht



Hörfunkfamilie Hesselbach


»Hessisch ist eine Gesinnung«


Der nebenstehende Multimedia-Clip ist ein Ausschnitt aus »Ich sach' ja nix, ich red' ja bloß!« von Peter Knorr und Lionel van der Meulen. Wolf Schmidt ist darin mit einer humorvollen Darstellung der Hessen und des Hessischen zu hören.


Die Hesselbachs und das Hessische


von Reinhard Frost

WILLI: Sehn se, bei uns in Hessen gibts en Sprichwort: Wer sei Frau net als mal verhaut, der liebt se net.
HELGA: Ach, ich dachte schon, Sie verirren sich in eine Liebeserklärung.
WILLI: Das war eine Liebeserklärung!
HELGA: Es muß etwas Wunderbares sein um das hessische Liebesgeflüster.
Das Hessisch, wie es bei den Hesselbachs tönt: Für jeden Nichthessen eine klare Sache, für jeden Odenwälder oder Kasselaner ein Unding, denn was bei den Hesselbachs durch den Äther oder auf dem Bildschirm babbelt, hat mit deren Mundart natürlich nicht mehr viel zu tun.

Auch ein »alter Frankfurter« (so es diese Gattung überhaupt noch gibt) wird das Hesselbach-Hessisch kaum mit seiner Sprache voll identifizieren wollen. Reden die Hesselbachs am Ende gar kein richtiges Hessisch? Das wohl schon, aber es ist dennoch ein sprachlicher Kompromiss, genauso wie die Fernsehaufzeichnungen des Ohnesorg-Theaters einen Kompromiss darstellen; ungeglättetes Plattdeutsch hätte südlich von Buxtehude wohl kaum noch Chancen auf Einschaltquoten.

Strenggenommen kann von dem hessischen Dialekt gar nicht gesprochen werden, denn genausowenig wie sich etwa der Freistaat Bayern mit der Verbreitung der bairischen Mundart deckt, ist Hessen nicht automatisch »Babbelzone«. So liegen beispielsweise Teile Nordhessens schon jenseits der niederdeutschen Sprachgrenze. Das bedeutet: »ik«, »dat«, »op« statt »isch«, »des« und »uff«.

Die Familie Hesselbach im Radio


Am Anfang war es waschecht


Hört man sich die frühen Rundfunkfolgen der »Hesselbachs« heute noch einmal an, staunt man nicht schlecht. Wolf Schmidts Friedberger Herkunft ist deutlich auszumachen. Fast alle Beteiligten sprechen einen stark ausgeprägten Dialekt. Die Hessen waren noch unter sich. Verständlicherweise, denn noch waren die Hesselbachs kein bundesdeutscher TV-Straßenfeger, sondern allenfalls eine Hörfunkattraktion im Raum Frankfurt.

Nicht nur thematisch, auch sprachlich sind die Hesselbachs keineswegs ein festgefügter Block. Das läßt sich leicht feststellen. Man braucht nur einmal einige Hörfunkfolgen mit den etwa zehn Jahre später gedrehten Fernsehfolgen zu vergleichen. Das ist nicht schwierig, denn eine große Anzahl der alten Hörfunk-Plots wurde für die Fernsehaufzeichnung wiederverwertet, ja vom Text her manchmal fast wörtlich übernommen (z. B. »Dreckrändche«, »Techtelmechtel« oder »Der röhrende Hirsch«).

Ein Blick auf die Besetzungsliste macht aber schon deutlich, dass wesentliche Änderungen vorgenommen wurden. So sind etwa die Rollen von Lindner und Helga Schneider ursprünglich von Hessen gesprochen, während sie im Fernsehen von Schauspielern mit hochdeutschem (Joachim Engel-Denis) beziehungsweise süddeutschem Tonfall (Helga Neuner) gespielt wurden.

Auf den ersten Blick mag diese sprachliche Neuorientierung ein wenig als Preisgabe der homogenen »Babbelgesellschaft« erscheinen, doch die (eher behutsamen) Änderungen, die zwischen Hörfunk- und Fernsehversion vorgenommen wurden, sind eigentlich nur eine folgerichtige Angleichung an den Wandel innerhalb der deutschen Nachkriegsgesellschaft im Verlauf der 50er und 60er Jahre. Es gibt dann keine einheitlich geformten Belegschaften und Familien mehr, auch sprachlich nicht. Die Menschen sind mobiler geworden. Moderne Charaktere dringen in den »bodenständigen« Stamm der Hesselbachs ein: der Fernseh-Lindner, die Pinella, die Heidi.

Wolf Schmidt hat damit auf die veränderte Situation, die sich allein schon aus der nun bundesweiten Verbreitung der Serie ergab, wohl zum rechten Zeitpunkt reagiert. Das Verharren auf einer ausschließlich hessischen Besetzung hätte die Hesselbachs sicher in ihrer Wirkung begrenzt und den Identifikationswert für breite Bevölkerungsschichten über Hessens Grenzen hinaus erschwert.

Max Strecker, Joachim Engel-Denis und Wolf Schmidt


Durch die Gegenüberstellung aber von Hessen mit hochdeutschen beziehungsweise mit Sprechern anderer Dialekte (z. B. dem Schwaben Münzenberger) erhöhte sich der Reiz der Serie. Denn die »Eingeplackten« mußten sich natürlich mit der nach wie vor dominierenden hessischen Wesensart irgendwie arrangieren.

Diese gewann eigentlich noch an Kontur, da ihre Eigenart von den Nichthessen an einigen Stellen regelrecht kommentiert wird. So beispielsweise in der eingangs zitierten »Liebesgeflüster-Passage« zwischen Helga und Willi oder aber in der Fernsehfolge »Der Kinderwagen«, in der Lindner den hessischen Dialekt allein durch das gereizte Nachsprechen von Frau Siebenhals »Ischmuß- jetzt-hier-butze-Jargon« persifliert und zugleich charakterisiert:
LINDNER (aufgebracht): Wo ist das Kind?
SIEBENHALS: Was fier'n Kind?
LINDNER UND BABBA: Meins!
SIEBENHALS: Ach, unser Biebsche. Ja, is'n des net dehaam?
LINDNER (die Siebenhals nachahmend): Es ist net unser Biebsche. Es is mei Biebsche un es is net dehaam.



Die Hesselbachs und die Nicht-Hessen

Dass die Radio-Hesselbachs noch ausgeprägter babbeln als später im Fernsehen, wird im Vergleich deutlich. Auch in den Radiozeiten traten natürlich schon Nichthessen auf. So etwa in der Folge »Der Weihnachtsgast« Hans-Joachim Kulenkampff als französischer Leutnant, der vor seinem eigentlichen Erscheinen die, ob seiner Mission wild spekulierende Familie und besonders den Babba in Angst und Schrecken versetzte; die Furcht vor fremden (Besatzungs-)Mächten saß 1951 noch tief. Leutnant »Kuli« war mit seinem französischen Akzent natürlich die Liebenswürdigkeit selbst, doch zunächst wurde er als kaum einschätzbarer Eindringling in die ansonsten sehr überschaubare Hesselbach-Welt eingestuft. Willi, als Vertreter der jungen Generation, konnte in diesem Fall die alten Ressentiments aus dem Weg räumen.

Mit der Fernsehversion begann dann ein neues Hesselbach-Zeitalter. Sicher, der heutige Zuschauer wird streckenweise in nostalgische Gefühle verfallen, wie beschaulich und weitgehend stressfrei es um 1960 in der »Alltagschronik einer Verlagsdruckerei - irgendwo im Hessischen« noch zuging.

Doch befanden sich die Fernseh-Hesselbachs bereits in den satten Jahren des Wirtschaftswunders. Man war schon wieder wer. So konnte die Firma Hesselbach beispielsweise den Juniorchef Willi fast wie selbstverständlich als gewandten Geschäftsmann nach Amerika entlassen.

In den Fernsehfolgen ist, wie gesagt, eine Reihe bereits zu Hörfunkzeiten vorhandener Rollen mit Nichthessen besetzt worden. So etwa Chefredakteur Betzdorf (Bogeslav von Heyden). Als verhinderter Intellektueller ist er ständig darum bemüht, die Fahne eines halbwegs gediegenen Journalismus hochzuhalten, ein Anliegen, das natürlich im verfilzten Kleinstadtsumpf meistens scheitert: »Wir sind es den Lesern der Weltschau schuldig... etc. ... etc.«

Daneben wurde allmählich die Rolle des Fräulein Pinella entwickelt. Ursprünglich von der Mamma in den Betrieb hineingelobt und dort vom Babba liebevoll umhätschelt, wandelte sich »Pinni« bald vom hübschen Dummchen zur aufgeweckten Lokalreporterin. Ganz der Typus der modernen, unabhängigen Frau (zumindest aus der Sicht der frühen 60er Jahre), steht sie weitgehend über dem »gewachsenen« Betriebsklüngel, in den zum Beispiel ihre etwa gleichaltrigen hessischen Vertriebskolleginnen Frieda Lahrmann und Emmi Puchel tief verstrickt sind. Verständlich also, dass die ebenfalls hochdeutsche Hesselbach Tochter während einer plötzlich auftretenden Selbstverwirklichungsphase geistige und räumliche Zuflucht bei der »Pinni« sucht.

Überhaupt ist den jung-dynamischen Nichthessen, wozu natürlich auch Prokurist Lindner zählt, die energischere und direktere Herangehensweise an Probleme gemein, während die Hessen, allen voran der Babba, sich mitunter bei ihren Unternehmungen selbst im Wege stehen. Ein Paradebeispiel ist hier die »Tüchelchen«-Folge, in der sich Babba unnötigerweise, aber sehr zum Genuß der Hesselbach-Hörer, in immer abstrusere Ausflüchte verstrickt.


Die »Internationalisierung« der Hesselbachs

Der Einsatz nichthessischer Schauspieler geriet dann in den späten Fernsehfolgen »Herr Hesselbach und ...« allerdings doch in eine eher problematische Richtung. Am Politstammtisch - Babba ist als Rentier nun das geworden, wozu ihn die Mamma schon während seiner Zeit als Firmenleiter immer gedrängt hat: Stadtrat - sind symbolisch die Vertreter repräsentativer deutscher Mundartregionen versammelt: der Hesse (Wolf Schmidt), der Schwabe (Max Strecker), der Bayer (Fritz Strassner), die Berlinerin (Edith Hancke) und der Norddeutsche (Uwe Dallmeier).

Hier geriet das realistische Mischungsverhältnis zwischen Hessen, auswärtigen Dialektsprechern und Hochdeutschen aus den Fugen. Die familiär-betrieblichen Strukturen, das dichte Netz von allmählich gewachsenen »Beziehungskisten«, waren in den späten Folgen nicht mehr das Thema. Herrn Hesselbachs Engagement in der Kommunalpolitik stand nun im Vordergrund. Beim Publikum jedenfalls kamen die (lokal-)politischen Hesselbach-Folgen nicht mehr so gut an, wie bei der bereits zuvor im Radio produzierten Gesprächsrunde "Der Stammtisch Hesselbach".

Der Stammtisch



Wie authentisch ist das Hesselbach-Hessisch?

Strecker und Cossäus




Beim Hesselbach-Hessisch handelt es sich weder in bezug auf Intensität noch in puncto regionaler Herkunft um einen sprachlichen Einheitssound. Im Hinblick auf die Authentizität des Hessischen hat man der Lohmeier-Rolle die größten Entfaltungsmöglichkeiten zugebilligt. In diesem Falle sehr berechtigt, da mit Sophie Cossäus eine Schauspielerin zur Verfügung stand, die fraglos einen reichen Schatz hessischer Redensarten und Redewendungen parat hatte (und diese mittels der Hesselbach- Serie im gesprochenen Wort der Nachwelt erhält).

Darüber hinaus gelang es ihr, die Lohmeier-Rolle derart markant zu gestalten, dass hier tatsächlich ein ausgesprochen hessischer Charakter entstand. Die wegen ihrer enervierenden Wirkung im ganzen Betrieb gefürchtete Phrase »Herr Hesselbach, isch muß misch beschwärn« ist, verbunden mit der jeweiligen Beschwerde, ein herrliches Denkmal für die hessische Meisterschaft im beharrenden Nörgeln. Ebenso unverwechselbar ist ihr oft völlig unerwartet ausbrechendes Heldentum, so als sie sich mit kompromißlos mütterlicher Hingabe schützend vor den Lehrbub Rudi stellt, als dieser fälschlicherweise in den Verdacht der Betriebssabotage gerät.

Lehrbub Rudi, alias Dieter Schwanda, gehört natürlich auch in die Kategorie »waschechter Hesse«. Seine Rollengestaltung wirkt verblüffend echt. Bezeichnenderweise setzte sich bei der Bewerbung für die Lehrbub- Rolle im Fernsehen der damals elfjährige Schwanda gegen zwei wesentlich ältere Schauspielschüler durch. Sein Schicksal als letztes Glied in der Betriebshierarchie überspielt der Fernseh-Rudi souverän, so etwa, wenn er seine erwachsenen Kollegen darüber aufklärt, wie man mit »Weibern« umzugehen hat.

Sein vorwitziges Mundwerk ist im schönsten hessischen Besserwisserton gehalten. Selbst in der eigentlich korrekten Titulierung »Herr Direktor« für den Firmenchef schwingt bei Schwanda ein gerüttelt Maß natürlicher Opposition mit. Zwischen der hochdeutschen Anrede »Herr Direktor« und Schwandas respektlos hingeworfenem »Herr Direkdärr« liegen Welten. Im nachhinein wird so die Entscheidung, die Lehrbubenrolle mit einem »Bub von nebenan« zu besetzen, sehr plausibel. Eine allzu gespielte Teenagerrolle wirkt ohnehin sehr schnell unglaubwürdig, im Mundartbereich ist sie fatal. Man denke in diesem Zusammenhang nur an die kläglichen Dialektversuche späterer Witzsendungen, etwa in der Manier von »Sketch-up«.


In dieser kurzen Szene aus der Folge "Das Sparschwein" werden die verschiedenen Dialektfärbungen besonders deutlich. (c) HR


1000 Worte Hessisch für die Schauspieler

Ein Hesse kann über den in mäßigem Kölsch vorgetragenen Gag vielleicht noch schmunzeln. Sobald jedoch der Versuch unternommen wird, den hessischen Dialekt lediglich durch den vermehrten Gebrauch von »sch« nachzuahmen, wird die ganze Angelegenheit für den Zuschauer zwischen Vogelsberg und Odenwald schier unerträg lich. Selbst in direkt auf Hessen bezogenen Serien, zum Beispiel den »Hessischen Geschichten«, kommt es mitunter vor, dass Schauspieler mit nur sehr mangelnden Hessischkenntnissen in eine Mundartrolle gezwängt werden.

Hier stellt sich natürlich die Frage, ob denn Mundart für Schauspieler überhaupt lernbar ist. Die Hesselbach-Serie bietet eigentlich zwei recht überzeugende Belege, dass dies möglich ist. Erstens: Dieter Henkel, der Hesselbach- Sohn Peter, stammt aus Mannheim; zugegeben von Hessen nicht allzuweit entfernt. Doch auch Henkel mußte bei den drei »native-speakers« Liesel Christ, Lia Wöhr und Sophie Cossäus zunächst ein paar Nachhilfestunden in Hessisch nehmen.

Das sprachliche Ergebnis war dann ein durchaus akzeptables Südhessisch. Zweiter Fall: Ursula Köllner als Fräulein Sauerberg. Es dürfte nur wenigen aufgefallen sein, dass sie Hessisch erst für die Fernsehversion richtig gelernt hat. Doch für sie ist dieser angeeignete Dialekt keine Eintagsfliege geblieben. Noch lange wurde sie des öfteren als Mundartsprecherin am Frankfurter Volkstheater eingesetzt.

Ein sehr breites Hessisch pflegte bekanntermaßen Lia Wöhr. Die Putzfrauenrolle der Siebenhals ist so etwas wie ihr Markenzeichen geworden. Angeblich wurde sie bei den Aufnahmen zur Hesselbach-Serie am Wochenende einmal von einer Putzfrau beim HR angesprochen, die zu ihrer vermeintlichen Kollegin seufzte: »Gell, Frau Wöhr, wir müssn auch samstags.« Gemeint war natürlich putzen.

Lia Wöhr


In den Hörfunkfolgen sprach Lia Wöhr ja die Mamma. Im Vergleich zu Liesel Christ wirkt Lia Wöhr dort jedoch entschieden sanfter und weniger auftrumpfend. Die Sanftheit ist von der Mamma-Rolle in der Fernsehversion gänzlich gewichen. Zugleich hat auch Lia Wöhr als Frau Siebenhals an Selbstbewußtsein kräftig zugelegt. (Die Rolle der Reinigungskraft war in der Rundfunkzeit ziemlich untergeordnet, außerdem gab es damals noch einen Herrn Siebenhals.) »Isch muß jetzt hier butze«, poltert sie, meistens ungerufen, in die Szene. Als Vorzeigehessin, zu der sie spätestens der »Blaue Bock« gemacht hat, ist das Hessisch-Babbeln praktisch ihr wichtigster Exportartikel: Babbeln um des Babbelns willen.


Wie hessisch sind die Hesselbachs?

Babba Hesselbach und Sohn Willi (Joost Siedhoff) haben dagegen im Fernsehen ihre Mundartintensität leicht zurückgenommen, wie es der Realität von Firmenleiter und Juniorchef in Hessen wohl auch entspricht. Ganz zu Beginn der Serie 1949 sprach Wolf Schmidt unüberhörbar den Tonfall seiner Heimatstadt Friedberg, als Stadtrat Hesselbach in den späten Fernsehfolgen 1966/67 ist daraus ein gepflegtes Honoratiorenhessisch geworden.

Die Wandlung seines Dialekts stellt jedoch keine mundartliche Verflachung dar, sondern ist mit der persönlichen und beruflichen Entwicklung Karl Hesselbachs verbunden und daher durchaus rollengerecht. Es stand natürlich außer Frage, dass sich Wolf Schmidt als Protagonist und geistiger Vater der Serie eindeutig und sehr konturenreich als Hesse zeichnete. Vor allem vermied er es, die Mundart lediglich als schmückendes oder gar rührseliges Requisit zu mißbrauchen. Vielleicht weniger für seine Mitdarsteller, aber gewiß für seine eigene (Haupt-)Rolle hat Schmidt versucht, das Hessische nicht nur von seiner »Sonnenseite« zu zeigen.

Denis, Engelke, Reichardt


Wichtig war freilich, dass neben den exponierten »Babblern« wie dem Fräulein Lohmeier und der Frau Siebenhals auch solche Hessen auftraten, die eine ganz »normale« Mundart sprachen, wie man ihr tagtäglich begegnete. Dazu zählen Sofie Engelke (Frieda Lahmann) und Gaby Reichardt (Emmi Puchel), aber auch Liesel Christ, wobei die Ausprägung der Mundart von Fall zu Fall unterschiedlich ist.

Ein genormtes Bühnenhessisch ist es jedenfalls nicht, was das Hesselbach-Ensemble in Radio und Fernsehen spricht.

Eine Bereicherung der Dialektspannweite waren auch die gelegentlichen Gastrollen, etwa von Carl Luley in der Radiofolge »Der Jugendfreund« oder von Gudrun Gewecke im »Röhrenden Hirsch«, die ein wunderbar unflätiges Hessisch zelebriert: »Was merr die Hesselbachs do widder fiern Dreck uffgehängt hawwe.« (»Dreck« mit mindestens drei gerollten »r«)

Auf die Frage: »Wie hessisch sind die Hesselbachs?« kann man vielleicht antworten: Hessisch genug, um in ihrer Gattung unverwechselbar zu sein, aber gleichzeitig nicht zu geschwätzig, um aufdringlich zu wirken.

Es muß die richtige Mischung gewesen sein, denn die Hesselbachs (zumindest die Fernsehfolgen) werden wieder und wieder gesendet, ob in den Regionalprogrammen oder im Kabelfernsehen. Für hessische Verhältnisse grenzt das schon fast an ein Wunder, denn die Hessen haben sich bisher immer schwergetan, ihre regionale Eigenart unter Beweis zu stellen. Eine Einrichtung wie der »Hessentag« etwa wurde ja ausdrücklich als identitätsstiftende Maßnahme eingeführt, um den bis 1945 territorial verstreuten Hessen ein »Wir-Gefühl« zu vermitteln.

Noch heute fällt es ja den Nord- und Südhessen schwer, sich als eine »Sippe« anzuerkennen, steht das hochentwickelte Rhein-Main-Gebiet in starkem Kontrast zum verträumten Märchen-Hessen der Brüder Grimm. Vor genau diesem Problem standen seinerzeit auch die »Macher« der Hesselbachs. Schon der Titel der Serie ist ja programmatisch als »typisch hessisch « gedacht.

Wie kann man aber typisch sein, wenn man keine Vorbilder hat?

Das typisch Hessische - wie geht das?

Wolf Schmidt und sein Team sorgten natürlich dafür, dass Elemente der hessischen Mentalität unvergessene Mediengeschichte gemacht haben. Doch auch das gesamte Ambiente und die Präsentation der Serie sollte je hessisch wirken - besonders als die Verbreitung der Serie mit dem Beginn der Fernsehfolgen bundesweit wurde.

Beispiel: Musik


Schwierigkeiten gab es da zum Beispiel mit der Titelmelodie. Gibt es eine spezifisch hessische Musik? In Bayern hätte man wohl kaum Probleme, etwas Bodenständiges zu finden. Aber Hesselbach-Komponist Willy Czernik, übrigens ein Sachse, mußte musikalisches Neuland betreten. Dass es ihm gelungen ist, mit seiner Hesselbach-Polka ein Stück zu schaffen, das dem Charakter der Serie in hohem Maße entgegenkommt, spricht einerseits für Czerniks Einfühlungsvermögen. Andererseits war er in puncto »Hessen in Töne gegossen « tatsächlich ein Pionier.

Gerade zu Beginn der Fernsehfolgen spielte die Musik eine wichtige dramaturgische Rolle. Ganze Sequenzen kommen ohne ein gesprochenes Wort aus. Ein besonders bemerkenswertes Beispiel ist in dieser Hinsicht die Folge »Der schwaze Freitag«. Babba übt (allein) eine »bahnbrechende« Rede ein. Gesten und Inhalt sind rein musikalisch wiedergegeben. Draußen im Sekretärinnenzimmer ist derweil ein Chaos ausgebrochen, denn den schwarzen Frack, den Babba bei seiner Rede tragen soll, verunziert ein dicker Fleck. Fast jedes Firmenmitglied meint ein Spezialrezept zur Eliminierung des Flecks parat zu haben. Es herrscht dichtes Gedränge, und nacheinander werden alle Fleckenbekämpfer mit einem eigenen musikalischen Motiv versehen.

Die »Siebenhals« und die »Lohmeiern« sind deftig bis energisch vertont, (siehe dazu Die Musik der Hesselbachs).

Hessische Musik? Charakterstudien in jedem Fall, und das zeichnet diese Serie generell vor vielen anderen Unterhaltungsserien aus. Bei den Hesselbachs gibt es weniger vorgeformte Typen als vielmehr einprägsame Charaktere.

Gruppenbild Hesselbachs


Die Hesselbachs - ein mundartlicher Einzelfall

Welche Chancen wurden da bei späteren Produktionen wie den »Drombuschs « oder »Mit Leib und Seele« vertan, die zwar in Hessen angesiedelt sind, dieses Land jedoch dem Fernsehzuschauer als nahezu »mundartfreie Zone« präsentieren. Bei letzterer Serie müssen sogar bekannte Mundartsprecher wie Günther Strack und Liesel Christ ihr Hessisch weitgehend unterdrücken. Warum?

Die Hesselbachs bleiben damit für Hessen der Einzelfall, bei dem versucht wurde, in einer populären Unterhaltungsserie den hiesigen Dialekt prägnant, aber nicht übertrieben einzusetzen.


Dieser neu überarbeitete Aufsatz von Reinhard Frost erschien ursprünglich in
»Die Hesselbachs, Geschichte einer Funk- und Fernsehfamilie«, Eichborn, 1991.

Reinhard FrostReinhard Frost, geb. 1965 in Frankfurt am Main, ist Germanist und Historiker. Er war Mitbearbeiter der 1994/96 erschienenen »Frankfurter Biographie« und ist seit 1996 beim Historischen Institut der Deutschen Bank in Frankfurt tätig.
Frost ist "Hesselbachianer" seit der Wiederholung der Fernsehstaffeln im hr Ende der 1970er Jahre.



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