2013-02-02

Das Wehwehchen

Ein Sketch

von Wolf Schmidt



Personen: ER und SIE
. . . und es spielen mit: Mancherlei Weh und Ach, ein Tisch, drei Stühle, von denen einer ein Lehnstuhl ist, diverse Kissen, ein Lineal, ein Bonbon für den scheinbar Todgeweihten und so viel Verbandszeug, daß man einem kranken Finger die Form eines Elefantenstoßzahnes geben kann.


ER (vorwurfsvoll): Schätzchen!

SIE (müde): Was denn?

ER: Was machst du denn für'n komisches Gesicht den ganzen Tag?

SIE: Ach, ich habe Schmerzen.

ER (ohne Mitgefühl): Aber Kindchen, ich habe dir doch gesagt, geh zum Doktor.

SIE: Ich war ja dort.

ER (leicht ironisch): Und was sagt er zu deinem Wehwehchen?

SIE (bitter, denn sie hat den leisen Hohn gespürt): Er sagt, mein Wehwehchen ist eine gefährliche Geschwulst an der Achsel, und wenn die Schmerzen nicht bald zurückgehen, muß operiert werden. (Unterdrückt) Au. (Sie leidet sichtbarlich)

ER (sachlich): Aber dann laß dich doch operieren, Schätzchen, wozu sind wir denn in der Krankenkasse!

SIE (ängstlich): Ich mag mich nicht operieren lassen.

ER (großspurig): Ich bitte dich, Operieren ist doch heutzutage eine Kleinigkeit, mein Herz. Ehh, das heißt, wirst du dann im Krankenhaus liegen müssen?

SIE: Nein, ich kann sofort wieder nach Hause.

ER (befriedigt): Na siehst du. Da brauche ich also nicht im Restaurant zu essen. Dann würde ich mich aber unter allen Umständen operieren lassen.

SIE (nach kurzer Überlegung zaghaft): Bringst du mich ins Krankenhaus?

ER (entrüstet): Na hör mal, du wirst doch noch allein ins Krankenhaus gehen können. (Feige) Du weißt ja, daß ich den Krankenhausgeruch nicht vertragen kann.
Davon wird mir immer so übel. Das geht den stärksten Männern so. Besonders denen. (Da sie zusammenzuckt und zu weinen beginnt) Warum weinst du denn jetzt, um Himmels Willen?

SIE (unter Tränen): Es tut so weh, Lieber.

ER (springt auf und macht gewichtige Schritte): Aber Herzelchen, vom Weinen wird's doch auch nicht besser. Man muß sich in so einem Falle auf irgendeine Arbeit konzentrieren, die Schmerzen einfach nicht zur Kenntnis nehmen und bewußt heiter sein. Heiter sein wollen, heiter! Heiter! Wer will, kann alles. Du mußt dich nur ein bißchen zusammennehmen.

SIE (matt): Ich habe seit vier Tagen nicht mehr richtig geschlafen.

ER (überrascht): Davon hast du ja nicht einen Ton gesagt.

SIE: Eben, weil ich mich zusammengenommen habe.
Ihr Männer habt ja gar keine Ahnung, was wir Frauen manchmal ertragen, ohne daß ihr etwas davon merkt.

ER (tut sich vor ihr auf wie zu einer Ansprache): Mein armes Häschen! Es ist nur ein Glück, daß ihr Frauen keine Ahnung habt, was wir Männer manchmal für Schmerzen schweigend ertragen müssen. Denk zum Beispiel an den alten Römer Muzius Scävola, der seine Hand ins Feuer hielt, ohne mit einer Wimper zu zucken.
(Er will sich auf weitere Beispiele besinnen, als er plötzlich seine Hand kräftig schlenkert): Autsch!

SIE (erschrocken): Was hast du denn?

ER (zappelig): Da hat mich was gestochen. Mensch, tut das weh, au, verflixt noch mal! Nun stehdoch nicht so rum, Schatzl, tu doch was dagegen!

SIE: Was soll ich denn tun?

ER (trippelt herum und schlenkert mit der Hand): Einen Verband, Kompressen, Seifenbäder -- -- was weiß ich! Eine Einspritzung, herzstillende Tabletten, eine Salbe! Es gibt doch Tausende von Dingen, die man in einem solchen Fall tun kann. Aber du stehst einfach da, als ob dich meine Verletzung nichts anginge, au, verdammt noch mal, jetzt schwillt die Wunde an.

SIE (sachlich): Na, die ,Wunde' ist ja wohl ein bißchen übertrieben.

ER (wehleidig): Natürlich Wunde! Du siehst doch, der Finger ist ganz rot und schwillt an. Das kann eine Blutvergiftung geben. In wenigen Stunden kann ich tot sein. Um mich habe ich keine Angst, aber was wird dann aus dir?

SIE (mit beleidigender Ruhe): Na, vorläufig bist du ja noch ganz schön lebendig.

ER (gesteigert ängstlich): Ja, aber wie lange noch? Au, verdammt noch mal, tut das weh -- --

SIE (nachgebend): Komm, tu ich dir eben ein Sälbchen drauf und ein Verbändchen drum.

ER (stöhnt): Ja, tu das, Liebling. Du, das ist bestimmt ein Hornissenstich.

SIE (prüft): Na, ich finde, es sieht eher wie ein Mückenstich aus.

ER (beleidigt): Ein Mückenstich, erlaube mal, das ist ja geradezu herabsetzend! Au! Das ist bestimmt ein Hornissenstich, und damit ist nicht zu spaßen. Ein Hornissenstich tötet einen ausgewachsenen Ochsen innerhalb von drei Minuten.

SIE (tröstet): Dann ist es keiner. Da wärst du ja schon tot. (Sie holt Verbandszeug. Er duldet empört) Sooo, hier ist das Verbändchen. (Sie wickelt den Finger)

ER (schon nach den ersten Umwicklungen schmerzverzerrt): Au, nicht so locker den Verband! Warum drückst du denn direkt auf die Wunde! -- Doch nicht so brutal!

SIE (wie zu einem Kind): Kooommm, mein Armer, nun streck mal dein Fingerchen aus. Sooo. Tut's noch weh?

ER (windet sich in Schmerzen): Au, ja. Natürlich tut's weh. Jetzt zieht es schon über die Hand.

SIE: Vielleicht ist der Verband zu fest, daher wird es kommen.

ER: Ich sage dir ja die ganze Zeit, du machst ihn zu fest, den Verband.

SIE: Also, machen wir einen lockeren, komm mein armer Mann.

ER (hat ungeheures Mitleid mit sich): Hija.

SIE: Ist es so richtig?

ER (mit bebender Stimme): Nein, so ist es ganz schlecht.
Jetzt drückt der Verband am Gelenk. Du, ich glaube, jetzt spannt es schon über den ganzen Arm.

SIE: Das kommt, weil du den Arm so krampfhaft hältst, mein Guter. Komm, leg dich doch 'n bißchen hin.

ER: Hijaa.
(Sie begleitet ihn wie einen Schwerverletzten zum Sessel, in dem er sich matt niederläßt)

SIE: Liegst du gut so?

ER: Nein, das Kissen drückt.

SIE: Ich nehm's dir weg (Tut es) Sooo, liegst du jetzt bequem?

ER: Nein, wo das Kissen war, ist jetzt ein Loch.

SIE: Dann leg ich dir ein kleineres Kissen hin. (Es geschieht) Sooo, isses jetzt gut?

ER: So einigermaßen. Vielen Dank, Herzelchen. Bloß am Rückgrat drückt mich etwas. Ob die Sache schon ins Rückenmark gegangen ist?

SIE: Nein, du liegst bloß auf dem Lineal.

ER: Bitte, nimm's weg.

SIE (dann): So, noch was?

ER: Nein, im Moment nicht.

SIE: Dann kann ich jetzt vielleicht gehen?

ER (erschrocken): Du willst gehen?! (Beleidigt) Na, also das ist aber herzlos von dir. Man kann doch einen kranken Menschen nicht einfach allein lassen (Sinkt zurück) Du, ich habe so trockne Lippen.

SIE: Soll ich dir vorher noch einen Kaffee kochen?

ER: Ja, aber bitte nicht so heißen.

SIE: Kalten hab ich noch da.

ER: Nein, bloß keinen kalten!

SIE: Dann werde ich dir lauwarmen kochen.

ER: Lieber Mineralwasser.

SIE: Haben wir keins mehr im Haus.

ER (leicht ärgerlich): Warum nicht. Mineralwasser soll doch immer im Haus sein.

SIE: Du hast heute schon drei Flaschen getrunken.

ER (wie oben): Natürlich habe ich getrunken. Man wird doch in seinem eigenen Haus wenigstens noch Mineralwasser trinken dürfen. Liebling, Du siehst doch,wie es um mich steht. Hol doch bitte eine Flasche Wasser aus dem Geschäft.

SIE: Geht leider nicht, die Geschäfte sind schon zu.

ER (zurückgesunken mit geschlossenen Augen, Grabesstimme): Ach, du willst bloß nicht. Na schön, dann gib mir eben nichts. Ist ja auch egal, was mit mir geschieht.

SIE (parodiert lächelnd): Sei heiter, Lieber, und denk an die alten Römer.

ER (ernüchtert): Weißt du, ich finde es schmutzig von dir, daß du dich über meine Lage auch noch lustig machst. -- Hast du wenigstens noch ein Bonbon?

SIE: Ja, es ist noch eins in der Tüte. Eigentlich ist es ja meins, nachdem du die anderen alle gegessen hast.

ER (schmollend): Weil du gesagt hast, du hättest momentan keinen Appetit darauf. -- Mein Gott, behalte dein albernes Bonbon. Ich will mir nicht nachsagen lassen, daß ich meiner Frau die Bonbons wegesse.

SIE (begütigend): Aber, Liebling, wer sagt dir denn das nach. Du hast es zwar getan, aber nachsagen tut's dir niemand. Komm, ich steck dir das Bonbon ins Mundi.
Und nun legt sich der Bubi schön brav aufs Kissi, kriegt sein Zeitungi und wenn er hübsch artig und still bleibt, bis ich wiederkomme, bring ich ihm auch noch ein feines Bonboni mit. Ja?

ER (ängstlich): Du willst tatsächlich weg?

SIE (erst sachlich): Ich lasse mir nur rasch die Geschwulst an meiner Achsel operieren und komme sofort zurück. (Mitleidig zu ihm) Und bis dahin ist dein Mückenstichi wieder heile heile. Ja? Küssi! (Sie verschwindet auf leisen Sohlen, während er geknickt in sich hineinseufzt)

ER: Ach, daß diese Frauen einem immer gerade dann weglaufen, wenn man sie ausnahmsweise mal 'n bißchen braucht. Und warum? Aus schierer Wehleidigkeit.


Vorhang



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