2013-02-06

Mann vom Mars und Medienhandwerker

Wolf Schmidt als Autor

von Kai S. Knörr


Wolf Schmidt an der Schreibmaschine


"Die erstaunliche Fruchtbarkeit des Funkautors Schmidt ist nur mit einem Arbeitstempo zu erklären, das es ihm erlaubt, zeitweilig pro Monat sechs Hörspiele zu verfassen, von denen er einige obendrein auch noch selber inszeniert. Die gleiche Geschwindigkeit, die er am Schreibtisch durchhält, überträgt er auch auf seine Arbeit am Regiepult. Noch nie hat die Funkaufnahme einer "Hesselbach"-Sendung (60 Minuten Sendezeit) länger als einen Tag gedauert. Dagegen ist es ihm schon gelungen, unter Zeitdruck acht Sendungen in vier Tagen herzustellen". Dies berichtete "DER SPIEGEL" im Herbst 1955, einen Tag vor der Premiere des zweiten "Hesselbach"-Kinofilms.

Wolf Schmidt mit ManuskriptEiner Zeitung gab er 1950 zu Protokoll, dass er täglich vier Schreibmaschinenseiten Manuskript-Text generiert. Wer in der Bundesrepublik der 50er Jahre Radio hörte, kam an Wolf Schmidt kaum vorbei: Nach einer Unzahl von Sketchen, Dialog- und Monologszenen, die über alle Sender gingen, legte er mit den "Staudenmaiers" beim Süddeutschen Rundfunk, freilich ohne es damals voraussehen zu können, den Grundstein für ein regelrechtes Imperium von Familienserien, von denen die "Hesselbachs" mit ihm als Hauptdarsteller die berühmteste und langlebigste wurde.

Das Funktionieren der Plots hatte er in den ersten Jahren mit seiner Bühnen- und Lebenspartnerin Gretl (die sich im Radio weiterhin als Gretl Pilz vorstellte) vor Publikum und auch im Radiostudio ausprobiert. Sie blieb, wenn auch später im Hintergrund, seine unverzichtbare Muse. "Wir werfen uns täglich 1000 Ideen an den Kopf!", sagte er in einem Interview.

Wolf Schmidt mit Gretl Pilz hinter der Schreibmaschine


Auf die Frage, woher er seine Ideen nimmt, antwortete er lakonisch: "Aus dem Leben."

Diese gern übernommene Lesart war ein raffinierter Trick des ehemaligen Journalisten Schmidt, den artifiziellen Charakter und die formale Strenge seiner Geschichten zu kaschieren.

In der Legende, er habe lediglich 'dem Volk auf's Maul geschaut', manifestierte sich Schmidts professionelles Interesse am Menschen und seinen Problemen. Zugleich erhöhte er die Relevanz des Erzählten mit dem Attribut der Alltagschronik – vergleichbar mit dem, was später Egon Monk oder Wolfgang Menge machten, wenn sie ihren Fernsehspielen den Charakter von Reportagen oder Dokumentationen gaben.

Wolf Schmidt als Autor auf Theaterzetten 1921Diese Strategie passte natürlich zum Rundfunk (bzw. Fernsehen) als Aktualitätsmedium. Die allmähliche Erweiterung der Geschichten aus den interfamiliären Zusammenhängen in das Feld allgemeiner politischer und philosophischer Fragen, wie sie z.B. in der Serie Prokurist a.D. Hesselbach – Büro für Lebensberatung durch die Klienten von Vater Hesselbach aufgebracht wurden, trugen Wolf Schmidt einen Ruf als "Pädagoge des Alltags" ein.

Ein Hang zur Pädagogik ist der Figur des Babba Hesselbach in der Tat nicht abzusprechen. Schmidt konnte aufgrund seines eigenen familiären Hintergrunds ja aus dem Vollen schöpfen. Die enorme Produktivität des Autors Schmidt nahm hier, im Friedberger Elternhaus am Taubenrain, ihren Anfang. Bereits im Kindesalter schrieb und inszenierte er kleine Theaterstücke, die anläßlich von Familienfesten mit Verwandten und Freunden aufgeführt wurden.

Sein schriftstellerischer Weg, der ihn über den Umweg des Zeitungsjournalismus zu Rundfunk und Fernsehen führte, wurzelte in einer Bildungspraxis, die literarische Lektüren, Schreiben als In-Form-Bringen von Material und Inszenieren von Anfang an beinhaltete.

"Eine häufige Frage in meiner Publikumspost lautet "Wo nehmen Sie nur alle diese vielen Stoffe her?", erläuterte er in den Presseinformationen zum seinem zweiten Kinofilm.

Das Rezept ist einfach: Man vergesse alles, was man je an Theaterstücken, Filmen, Romanen gesehen oder gelesen hat. Man beobachte das Leben um einen herum so, als sei man soeben vom Mars eingetroffen, um Sitten und Gewohnheiten der Eingeborenen dieses Planeten zu studieren. Und schon hat man Stoffe in ungeheurer Zahl. Komische und tragische, und mehr noch tragikomische. Und daraus macht man dann eben einfach ein Hörspiel oder ein Drehbuch.

Einfach?! So spricht natürlich kein Marsianer, sondern ein souveräner Autor als Medienhandwerker. Seiner Fähigkeit, die Dinge des Alltags als Stoff zu erkennen und diesen in beliebige Formen und (Serien-)Formate zu verwandeln, ging eine lange Zeit voraus, in der er überwiegend "für den Papierkorb" schrieb.

Das Drama in Tabellenform

In einem Interview mit sich selbst lässt er den Leser wissen:Jahrelang hat er sich mit dramaturgischen Problemen beschäftigt. Das Ergebnis waren eigene dramaturgische Tabellen und ein dramaturgischer Rechenschieber, der alle Situationen und ihre Varianten nebst allen Entwicklungs- und Abwandlungsmöglichkeiten numeriert enthielt.
Damit kam er sogar Altmeister Schiller auf die Schliche, der in seinen Schriften 37 dramatische Situationen aufzählt. Genau betrachtet schrumpfen sie auf fünf zusammen, die übrigen 32 sind bereits Untergruppen. Zwei Billionen Varianten dramatischer Ausgangssituationen, erinnert sich Wolf Schmidt heute, konnte er auf diese Weise damals errechnen. […] Tabellen und Rechenschieber sind übrigens längst auf dem Boden verschwunden. Denn, so meint Wolf Schmidt, wenn man sich das einmal erarbeitet hat, muß man es möglichst schnell wieder vergessen. Im "Unterbewußtsein" bleibt es doch und kontrolliert unbemerkt, was man aus der Beobachtung dessen, was stündlich um einen herum passiert, an Stoff gewinnt.

Wolf Schmidt hinter der Schreibmaschine


Wolf Schmidts schriftstellerisches Lebenswerk fiel in unterschiedliche Phasen eines radikalen Medienwandels. Die konsequente Ausrichtung seiner Arbeit auf das jeweils reichweitenstärkste Massenmedium (Radio 1948-1954, Film 1954-1957; Fernsehen 1958-1967) macht ihn zu einer Schlüsselfigur der westdeutschen Unterhaltungslandschaft und spricht auch für seine ökonomische Rationalität, die seinem Werk Breitenwirkung verschaffte.

Er tritt als Akteur, Chronist und Kommentator seiner Zeit auf und liefert mit seinem Werk einen Einblick in die Kulturgeschichte der Massenmedien des 20. Jahrhunderts: Presse, Buch, Rundfunk, Film und Fernsehen.

Abseits aller Analysen bleiben eine Magie seines Werks, seiner Figuren und Geschichten, die ihn als Autor und Babba Hesselbach bis heute so populär macht.


Kai S. Knörr ist Dozent an der Potsdamer Universität, Institut für Medien und Künste.



Zum Seitenanfang