2012-12-30

Susanne über ihren Vater

Wolf Schmidt mit Tocher Susanne, 1956Anders als Ehefrauen lieben Töchter ihre Väter ohne Vorbehalt. Sie sehen in ihnen oftmals das Ideal, nach dem sie selbst ein Leben lang suchen werden. Im Gegenzug fühlte auch ich mich von meinem Vater vorbehaltlos geliebt. Es bedurfte keiner speziellen Zuwendung, mein Vater war der König und ich seine Prinzessin. Mit all seinen Stärken und Defiziten würde ich alle Männer, die in meinem späteren Leben eine Rolle spielen sollten, an ihm messen.

Mein Vater war Antialkoholiker, aber Kettenraucher, letzteres zum Verdruss meiner Mutter und zur Freude seines Tabaklieferanten aus Friedberg, welcher ihn jahrzehntelang mit Zigarren der Marke Hupmann versorgte. Über sein ganzes Studio waren Drehaschenbecher verteilt, immer in Reichweite seiner Lieblingsplätze, denn er hatte einen Hang zum Kleckern. Die Zigarre gehörte einfach zu meinem Vater, wie sein dicker Bauch, seine Wildlederjacke, seine Halbglatze, die er als Babba Hesselbach mit einem Toupet kaschierte und seine Thermoskanne mit Kaffee, mit der er sich nach der Tagesschau in sein Studio zurückzog.




Mein Vater arbeitete gewöhnlich die ganze Nacht durch und schlief dann bis 10 Uhr vormittags. Um den morgendlichen Bade- und Ankleideaktivitäten meines Vaters aus dem Wege zu gehen, verließen meine Mutter, meine Tante und ich um diese Uhrzeit gewöhnlich das Haus, um am See spazieren zu gehen und auf dem Rückweg einzukaufen.

Im Dorf begegneten wir meinem Großvater (dem früheren Theaterdirektor Pilz), in gleicher Mission, der aber über die Einkäufe mit seiner Frau abrechnen musste, so dass oft lautstarke Auseinandersetzungen die morgendliche Stille unterbrachen. Sozusagen der erste Input für meinen Vater, denn eheliche und andere Auseinandersetzungen gehörten zu den Grundzutaten seiner Serien.

Wolf Schmidt mit Familie 1959


Diese Großfamilie glich einem kleinen Biotop, in dem mein Vater von seinem Elfenbeinturm aus über das Leben schrieb, aus dem er sich weitgehend zurückgezogen hatte. Seine Anwesenheit war außer zu den Mahlzeiten sporadisch. Selbst Besuch, der eigentlich ihm galt, drückte er gerne meiner Mutter auf’s Auge, auch wenn man ihn dann durch die großen Fenster seines Arbeitszimmers nicht schreibend, sondern Patience legend beobachten konnte. Was die Natur betraf, genügte ihm der weitläufige Garten und der herrliche Ausblick über den Bodensee. Sein Interesse an seinen Kindern war wohlwollend und vor allem theoretisch. Er war der Vater, der auf alles eine Antwort wusste, aber die Umsetzung dann seiner Frau überließ. Nicht umsonst waren auch die „Hesselbach“-Kinder alle schon aus dem Gröbsten raus.

Wolf Schmidt mit Familie 1959


Sein spärliches Interesse an seinen Kindern hatte Vorteile. Wir konnten uns frei entfalten, wurden zwar nicht gefördert, aber auch nicht unterdrückt oder gepuscht. Mein Vater war ein ausdauernder Schwimmer und liebte den See, wie ich heute das Wasser liebe. Vielleicht ist diese Gewissheit, nicht unterzugehen, eines der wichtigsten Dinge, die ein Vater seinem Kind für’s Leben mitgeben kann – deshalb sind mir meine ersten Schwimmversuche, bei denen ich mich an seinem etwas wulstigen Nacken festhalten konnte, bis heute in Erinnerung.




Ich empfand meinen Vater als modern und großzügig. In meinen Teenagerjahren war er es, der mich spät von Parties abholte oder mich nicht überführte, wenn ich die Uhren des Hauses um eine Stunde verstellt hatte (eine Armbanduhr trug er nicht). Er war es, der mir half, einen Motorradunfall vor meiner weit strengeren Mutter zu verschleiern, oder mir sein allerheiligstes Studio für eine Geburtstagsfeier überließ.

Die liberale und kosmopolitische Einstellung meines Vaters, sein Humor, seine Toleranz und sein Interesse an fremden Ländern und Sprachen waren für mich prägend. Ich bin dankbar, dass ich ihn noch so in Erinnerung behalten durfte, bevor sich seine Persönlichkeit durch seine Erkrankung nach und nach auflöste.

Familie von Bergen

Im 1955 gedrehten Kinofilm "Die Hesselbachs im Urlaub" wird "Babbas" heimlicher Traum geschildert: Der Enge seines bürgerlichen Lebens nach Chile zu entfliehen.
Es hätte meinem Vater sicher gefallen, dass ich lange Zeit in Südamerika ein klassisches Familienleben führte und einer seiner Enkel heute in Santiago arbeitet!

Susanne


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