2013-01-01

Die Filme

Wiesbaden - Hollywood - und zurück

von Kai S. Knörr


Wolf Schmidts erster Spielfilm war "Die Familie Hesselbach" (1954). Er sorgte in Hessen und Südwestdeutschland für Zuschauerrekorde, Schmidts Konzept multimedialer Mehrfachverwertung war aufgegangen: Die Familie Hesselbach war laut Union-Film-Verleih "Ein Funkschlager, ein Buchschlager und jetzt ein Filmschlager".

Im Gesamtwerk von Wolf Schmidt mögen sie etwas bizarr anmuten, die fünf Kinofilme aus den Jahren 1954-1957, von denen vier eine Hesselbach-Serie bilden. Vor allem, wenn man die späteren Fernseh-Hesselbachs vor Augen hat. Wolf Schmidt hatte in den 50er Jahren zweifellos große und ernstzunehmende Ambitionen mit dem Spielfilm, und die Hesselbachs verhießen den Start in eine erfolgreiche Karriere als unabhängiger Filmemacher. Für die Medienwissenschaft sind sie interessant, weil sie ihr Entstehen einer eigens entwickelten, äußerst unorthodoxen Produktionsweise im damals kaum begehbaren Grenzbereich zwischen Rundfunk, frühem Fernsehen und Filmindustrie verdanken.

Inspiration aus Wiesbaden

Erste Pläne muß es schon 1951 gegeben haben, denn Anfang Januar 1952 fragte das Wiesbadener Tagblatt beiläufig nach dem Stand eines Hesselbach-Spielfilmprojekts. Die dortige Presse war für Filmfragen sensibel, denn in Wiesbaden/Unter den Eichen wurde nach dem Krieg ein großer Studiokomplex inklusive Kopierwerk aufgebaut, in gewisser Weise als Kompensation für die „verlorengegangene“ Filmstadt Babelsberg. Auch die SPIO, der Dachverband der bundesdeutschen Filmwirtschaft, wurde damals in Wiesbaden gegründet und hat dort bis heute seinen Sitz. Die Wiesbadener Afifa-Studios repräsentierten in aller Dramatik medienpolitische Wellen: die letzte Hochphase des Kinos in den 50er Jahren, zugleich den erfolglosen Versuch, die Ufa als maßgeblichen Filmkonzern in Westdeutschland neu aufzubauen und schließlich die große Filmkrise, die die Übernahme der Studios durch das Fernsehen um 1960 zur Folge hatte.

Learning by doing - Die „Revue in Weiß“

Als an neuen Verbreitungskonzepten interessierter freier Autor beobachtete Wolf Schmidt die Entwicklungen bei Film und Fernsehen genau. Eine erste Innenansicht von den Arbeitsweisen der Filmbranche konnte er 1952 als Darsteller in einer höchst kuriosen Produktion gewinnen: Frauen, Filme, Fernsehfunk, gedreht in Wiesbaden und Berlin-Tempelhof. Es handelte sich um eine als 90-Minuten-Unterhaltungsfilm konzipierte Dauerwerbung für verschiedene Produkte der „Persilwerke“ - Untertitel: „Eine Revue in Weiß“. Ursprünglich als „leichter Film“ für den Einsatz in Kinomatineen gedacht, übernahmen ihn viele Kinobesitzer auch in ihr Abendprogramm. Die Werbebotschaft war offenbar subtil genug in die Spielhandlung verwoben, zudem kostete der Besuch des Films keinen Eintritt. Der Streifen war „2600 Meter lang und hat normale Produktionskosten verschlungen. Bekannte Schauspieler, prominenter Drehstab, 20 Drehtage“, berichtete eine Zeitung. „Ein Allerwelts-Erfinder, von Rudolf Platte dargestellt, verwechselt die Tür des Patentamts, in dem er ein neues Waschmittelrezept anmelden will, mit der Tür eines Fernseh-Studios und gerät versehentlich in die Hausfrauenstunde, wo Elena Luber vor der Kamera ‚richtiges Waschen‘ demonstriert“. Neben Wolf Schmidt dabei war übrigens auch Lotte Rausch, die zwei Jahre später in der ersten ARD-Fernsehserie die „Frau Schölermann“ spielen sollte.

Der Film ist deshalb so kurios, weil er etwas zeigt, was es in Deutschland damals schlicht nicht gab: Kommerzielle TV-Produktion.

In den USA hatte sich das Fernsehen ab 1940 Hand in Hand mit der Filmindustrie rasant entwickelt. Anfang der 50er Jahre hatten sich die großen Werbeinvestitionen bereits überwiegend vom Kino zum Fernsehen verlagert. Die Filmproduzenten arbeiteten auch für das Fernsehen, große Studios gründeten eigene Fernsehstationen. Ganz anders in Deutschland. Hier hielt sich das Interesse der Filmbranche für das gebührenfinanzierte Fernsehen sehr in Grenzen. Ende 1952 war gerade der tägliche Versuchsbetrieb gestartet, es gab noch kaum Zuschauer. Das Fernsehprogramm lebte damals ganz vom Live-Moment, war eher bebildertes Radio, Reportagemedium, und erfand sich erzählerisch im komplett eigenproduzierten Fernsehspiel. Die Filmwirtschaft boomte und ließ das Fernsehen links liegen. So kam es übrigens, daß der Regisseur von Frauen, Filme, Fernsehfunk die Szenen, die in einem Fernsehstudio spielten, skurrilerweise komplett ohne Fernsehequipment, dafür aber mit immens aufwendiger Filmtechnik einer vierfachen Rückprojektion drehte, um die Illusion der für Fernsehstudios typischen, simultanen Bilder zu erzeugen.

Recherchen in Amerika

Wolf Schmidt dürfte diese Erfahrung vor Augen geführt haben, daß sein eigenes Filmprojekt unter den branchentypischen Produktionsbedingungen nicht zu finanzieren war. Vielmehr schien es auf der Hand zu liegen, daß ein Film über die Rundfunkfamilie Hesselbach auch aus dem Kontext des Mediums entwickelt werden mußte. Während seiner sechswöchigen USA-Reise im Sommer 1953 wurde Wolf Schmidt nicht nur die Ehre der Ehrenbürgerschaft von New Orleans zuteil, er nahm als Vertreter des deutschen Rundfunks auch die Möglichkeit wahr, sich intensiv über die Entwicklung des Fernsehens zu informieren, indem er mit bedeutenden Vertretern der Film- und Fernsehbranche zusammenkam und die äußerst vielfältige Kultur der Radio- und TV-Serials kennenlernte. Am Ende der Reise stand für Wolf Schmidt die Vision internationaler Fernsehfilmkooperationen, bei denen er sich bereits als Programmlieferant für amerikanische Fernsehstationen sah.

Außerdem – und für die Produktionsgeschichte der Hesselbach-Kinofilme bedeutend – lernte er das Play-Back-Verfahren kennen, durch das die Einsparung eines teuren Synchronstudios ermöglicht wurde. Dieser technische Kniff ermöglichte eine Finanzierung der Filme im "Low-Budget"-Stil.

Die Playback Produktionstechnik

Ein dem Drehbuch beigelegtes Merkblatt erläuterte den Aufbau und die besondere Produktionsweise der Filmaufnahmen:
Da der Film im Play-back-Verfahren hergestellt wird, ist es nicht erforderlich, dass die Darsteller ihren Text vollständig auswendig lernen. Sie sollen ihn nur so beherrschen, dass sie beim Hereinspielen des Tons absolut mundsynchron sprechen können. Für die kürzeren Einstellungen genügt daher das einmalige Proben vor der Bildaufnahme. Dagegen müssten lange und schnelle Sätze in größeren Einstellungen unbedingt auswendig gelernt werden. Dies gilt vor allem auch für derartige Sätze in Außenaufnahmen, bei denen teilweise Einstellungen zusammengezogen und mit Fahreffekt abgedreht werden."

Vom Funktionieren des Playback-Verfahrens hing das technischökonomische Konzept des ganzen Projekts ab. Originaltonaufnahmen am Drehort gab es keine, so konnte Schmidt auf die teure Anmietung eines akustisch geeigneten Studios verzichten.

Damit wurde die Nutzung eines normalen Wohnhauses für die Innenaufnahmen möglich.
Obwohl es sich um einen geräumigen Altbau handelte, wären die Räume für den Einsatz der Tonangel mit Sicherheit zu eng gewesen. "Quo Vadis kann ich natürlich nicht hier am Taubenrain drehen", ließ Schmidt einen Reporter der Frankfurter Nachtausgabe kurz vor Abschluss der Dreharbeiten süffisant wissen.

Das Drehen ohne Original-Tonaufnahme hatte wesentliche Auswirkungen auf die praktische Arbeit am Set: Der Aktionsradius der Kameraleute war größer, weil das Surren der Kamera nicht, wie sonst üblich, durch allerlei Technik gedämpft werden brauchte.
Für die Darsteller war die Arbeit allerdings wesentlich anstrengender: Sie mussten versuchen, den vom Tontechniker vom Band abgespielten Text synchron mitzusprechen, was normalerweise nur bei Musikeinlagen mit Gesang üblich war. Der Techniker hatte dabei auf seiner, auf einem Teewagen platzierten, Bandmaschine möglichst schnell die jeweiligen voreingespielten Stellen auf dem Band zu finden und über Lautsprecher abzuspielen, wenn Schmidt das Kommando "Playback ab!" gab.

Diese Arbeitsweise führte dazu, dass an einigen Stellen der Filmaufnahmen deutlich zu spüren ist, wie sehr sich die Darsteller auf das Timing konzentrierten, wodurch dann nicht selten die eigentliche schauspielerische Präsenz litt.

Die Kinofilme gehen in Serie

Ein Jahr nach Fertigstellung des Films berichtete DER SPIEGEL einer umfangreichen Reportage über den Serienautor Schmidt anerkennend, dass noch immer 49 Kopien in den Kinos im Einsatz seien.

Nun ging es um ein neues Experiment: Schmidt wollte trotz der Vorbehalte der Filmwirtschaft beweisen, dass in Deutschland auch eine Filmserie Erfolg haben kann. Im Sommer 1955 begannen die Dreharbeiten zu Familie Hesselbach im Urlaub und Das Horoskop der Familie Hesselbach, die als Doppelproduktion in in seinem Domizil in Hagnau am Bodensee und Friedberg innerhalb von zwei Monaten fertig gestellt wurden.

Premiere des Urlaubsfilmes war am 30. September 1955, das Horoskop lief am 6. Januar 1956 an.

Wolf Schmidt hatte sich im Filmgeschäft eingerichtet und im April 1955 die Wolf-Schmidt-Film GmbH mit Sitz in Friedberg gegründet. Wie seine Figur des Vater Hesselbach war er nun Chef "einer kleinen hessischen Firma", deren "Alltagschronik" er in einer 18teiligen Rundfunkserie beim Hessischen Rundfunk und beim Süddeutschen Rundfunk von 1954 bis 1956 geschrieben hatte.

Die Hesselbach-Filmserie folgte diesem Konzept mit dem Film Herr Hesselbach und die Firma (1956).

Der letzte Film der 'Linie Hesselbach' wurde insgesamt sehr verhalten aufgenommen und auch die Redaktion der Film-Blätter kam letztlich nur zu dem müden Fazit: "Ganz passabel, aber billig, billig, billig gedreht!"

Doch Wolf Schmidt dachte nicht daran, aufzugeben und begab sich mit dem Film Der ideale Untermieter (1957) auf ein völlig neues Terrain.

Der Robo-Flop

Zum Beweis, dass die Vermassung und Verdummung der Menschheit fortschreite, hat Dr. Scholz einen Roboter gebaut, der den Wortschatz des Durchschnittsmenschen auf Tonband in seinem Inneren birgt und damit jede Unterhaltung führen kann.
Das von Schmidt als satirisch-groteske Geschichte angelegte Drehbuch war eine Mischung aus Hesselbach, Liebesgeschichte, Agenten- und Science-Fiction-Film, bei dem ein Roboter menschliche Züge entwickelt.

Das Manuskript wurde ins Englische übersetzt. Mit dem in Deutschland aktiven Verleih der United Artists war ein Vertrag zustande gekommen, der Schmidts Vorstellung einer deutsch-amerikanischen Filmkooperation entsprach.

Auch in diesem Fall wurde der Film nicht nachsynchronisiert: Alle Szenen wurden mit der Originalbesetzung in beiden Versionen gedreht. Bei den Voraufnahmen für das Playback hatten allerdings nur die Hauptdarsteller beide Dialogfassungen im Tonstudio zu sprechen, die Nebendarsteller wurden von Native Speakers übernommen.

The Ideal Lodger, die englische Fassung des Films ist im Bundesarchiv/Filmarchiv überliefert und ist ein skurriles Zeugnis, wie Wolf Schmidt mit seinem "modern fairy-tale, filmed in Europe" den amerikanischen (Fernseh-) Zuschauer zu erreichen beabsichtigte.

Was ihm nie gelang. Denn der Film floppte und sorgte dafür, dass Wolf Schmidt sich aus dem Filmgeschäft zurückzog.

Ein selbstironischer Blick zurück

1959 holte ihn der Hessische Rundfunk zurück. Die Hesselbachs kamen in Fernsehen. Zehn Jahre nach den Erfolgen seiner Kinofilme inszenierte er sich noch einmal selbstironisch als Filmemacher: In der Startfolge der letzten Hesselbach-Fernsehserie bekommt Vater Hesselbach, der sich inzwischen als Stadtrat der Kommunalpolitik zugewandt hat, den Auftrag, einen Imagefilm für den Magistrat zu machen. Und hier konnte Schmidt nun noch einmal genüsslich den eigenen Dilettantismus seiner Filmexperimente und den der kleinen Produzenten aufs Korn nehmen.



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