2012-12-23

Anja über ihren Vater

Wolf Schmidt mit Anja 1943

Einen Vater hat jeder – meint man, doch da gibt's den Normalfall: Der Vater ist immer da.

Der Trauerfall: Der Vater ist verstorben, unbekannt oder hat sich beizeiten abgesetzt.

Bei mir war alles ein wenig anders. Ich hatte einen Vater, sah ihn selten, doch er war bekannt – oft zu bekannt, zumindest für mich.

Als ich etwa in der 6. Klasse war, lief die „Familie Hesselbach“ im Radio. Dann waren die Straßen leer, alles – zumindest im Bereich des Hessischen Rundfunks – hörte begeistert zu oder lehnte (meist nur in Einzelfällen) diese Art der Unterhaltung ab. Ich glaube, meine Deutschlehrerin gehörte zur letzteren Gruppe. Sie ließ mich meine Aufsätze als besonders eklatantes Beispiel für schlechten Stil vorlesen, leider passte sich mein Stil mit jedem Misserfolg diesem Urteil dann auch mehr und mehr an.

„Lies Maupassant“, befahl mir mein Vater, „da lernst du, wie man schreibt.“ Es half nicht. Zumindest nicht in Deutsch, aber bei einem Französisch-Test. Mir schien es immer, dass die Lehrer meiner Schule die Köpfe zusammensteckten, wenn ich vorbei kam. „Das ist sie, die Tochter von dem Schmidt, Sie wissen schon, der Vater ist ja witzig und intelligent, aber dann diese Tochter...“

Diese Tochter hatte dazu noch den ausgefallenen Vornamen Anja als einzige in der Schule. So hießen in den 50er Jahren höchstens die Pudel. Als ich dann mit dem Abitur in der Tasche ein Lehrerstudium begann, liefen die „Hesselbachs“ bereits im Fernsehen. Seine Gratulation bestand aus einem siebenseitigen Brief, mit dem er sich so viel Mühe gemacht hatte, dass er ihn später sogar in seine Werkliste aufnahm.


„Dein Vater wird sich furchtbar aufregen, Lehrer sind für ihn ein rotes Tuch, besonders die Volksschullehrer“, hieß es in der Familie. Aber er schien mit meiner Berufswahl einverstanden. War ich dann doch rasch genug selbständig. Dafür gab er mir einmal auf einer Fahrt zum Rundfunk ausführlich den guten Rat, mich nur bald nach einem richtigen Ehemann umzusehen. Ich saß weißgesichtig neben ihm. Wie auch den meisten anderen Mitgliedern der Familie Schmidt war auch mir bei Fahrten mit ihm immer übel.

Seine Ratschläge kamen unter den gewaltigen Wolken seiner geliebten „Zigarr“: „Verplempere Dein Leben nicht mit ungeeigneten Männern. Die nächsten zehn Jahre Deines Lebens, eigentlich nur die nächsten fünf bis zu deinem 25. Lebensjahr, sind die besten, um einen Ehemann zu finden.“ Ich stieg aus, suchte den nächsten Busch vor dem Funkhaus und fuhr nach Hause zu meiner Mutter in Wiesbaden. Mein Vater und sie hatten mit 21 Jahren geheiratet und er hatte bald gemerkt, dass dies wohl doch zu früh gewesen war.

Ich hatte beschlossen, diesen Fehler nicht zu machen. Ob es nun sein guter Rat oder Schicksal war, auch ich war mit 22 Jahren bereits verheiratet. Beim Kennenlernen meines künftigen Ehemannes hatte der abwesende Vater wieder eine wichtige Rolle gespielt. Beim ersten Seminartreffen der Junglehrer wurde ich von den anderen nach meinem Vater befragt. “Die Firma Hesselbach“ lief noch immer mit großem Erfolg im Fernsehen. Ich gab knappe Antworten, wollte nicht, dass mir nun als Lehrerin wieder der „Hesselbach-Aufkleber“ angehängt würde. Ein unbekannter Kollege, Flüchtling aus der „Zone“, schloss aus meinen Antworten, mein Vater säße im Gefängnis, warum auch immer. Seine soziale Ader erwachte und er kümmerte sich um mich.

Wolf Schmidt mit Kindern und Schwiegersohn


Acht Wochen später waren wir verheiratet. Davor lernten sich die künftigen Schwiegerleute kennen. Sie waren sich sympathisch, ob die Freude, sein Kind so rasch unter der Haube zu wissen dabei eine besondere Rolle spielte, ist mir nie ganz klar geworden. Dieses Treffen war nur kurz, mein Vater hatte einen Film zu schneiden und einen Auftritt im Vorprogramm eines Kinos.

Bei diesen Vorprogrammen brachte er Sketche, die in Vor-Hesselbach-Zeiten entstanden waren. Solostücke, die er später in den Büchern „Immer diese Ella“ oder „Sie und Er“ veröffentlich hat. Er schrieb sie nach dem Krieg, als er mit einer Kabarett-Truppe im Lastwagen von Spielort zu Spielort fuhr.

In den späteren Jahren sahen wir uns seltener, mein Mann und ich wohnten und arbeiteten in Wiesbaden. Mein Vater lebte mit seiner zweiten Frau und meinen drei Halbgeschwistern am Bodensee, schrieb hauptsächlich nachts, wachgehalten von vielen Tassen Kaffee immer unter Druck, damit die nächste Folge rechtzeitig fertig würde.

Natürlich sahen wir sie uns alle an, aber für mich war dieser „Babba“ nicht mein „Pappi“, der schwarzhaarig ohne Schnurrbart und Toupet so ganz anders – eben richtig aussah. Für eine Überraschung war er jedoch immer wieder gut. Beim ersten Besuch in unserer Wohnung verspätete er sich, der Kuchen stand auf dem Tisch und mein Mann saß mit dem Ausdruck eines hungrigen Tigers davor, ich legte mir zur Ablenkung eine Patience, eine Leidenschaft der ganzen Familie. Er erschien, warf den „Rock“ ab und rief: „Ah eine Patience, woll’n doch mal sehen, ob sie aufgeht!“ Mein Mann musste fassungslos noch eine halbe Stunde warten.

Danach sahen wir uns immer seltener, seine Pläne für neue, ganz andere Fernsehsendungen, beschäftigten ihn, einiges wurde verwirklicht, aber leider kein Erfolg. Man wollte ihn nur als „Babba“. Mir aber haben sie gefallen: „Feuerabend“ oder die „Sonntagsrichter“. Die erstere eine Talkshow am Kamin mit seinem Freund Hans-Joachim Kulenkampff, die andere eine Gerichtssendung über Alltagsprobleme mit Laienrichtern. Ich glaube, heute wären sie eher ein Erfolg.

Wolf Schmidt mit Tochter Anja, 1968


Meine schönsten Erinnerungen an ihn sind die Ferien in Hagnau mit langen Spaziergängen in den Weinbergen. Er schwamm gerne - und ich auch. Manchmal schwammen wir so weit in den Bodensee hinaus, dass wir das Ufer kaum noch sahen.

Er war ein liebevoller Vater, der großzügig und pädagogisch auch mal herzerfrischend unkorrekt sein konnte.

Mit 36 Jahren sah ich ihn das letzte Mal. Ich vermisse ihn noch immer.

Anja


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