2013-02-01

Harald Schäfer: In eigener Sache

Der Mann am Regiepult

Wolf Schmidt war ein Multifunktionskünstler, der nicht nur die Stücke entwarf und schrieb, sondern auch noch das Drehbuch dazu anfertigte und die Hauptrolle selbst spielte. Doch damit nicht genug: Die künstlerische Leitung übernahm er auch - besser gesagt: Er machte dies zur Bedingung. Einerseits, weil es ihm Spaß machte, und andererseits, weil er sich nicht gerne "reinreden" ließ.

Man braucht nicht vom Fach zu sein, um sich vorstellen zu können, dass diese Konstellation eine Machtkonzentration bedeutet, die bei kleineren Projekten durchaus Sinn macht, bei der Produktion von Fernsehfilmen aber schnell zu einem Problem wird. Denn ein Stab mit bis zu 100 Mitarbeitern gleicht einem Riesenschiff, das sich langsam bewegt, aber schwer zu bremsen ist.

Studio-Team der Hesselbachs


Dabei ist praktisch jeder Beteiligte ein Spezialist auf seinem Gebiet, dem nichts vorgemacht werden kann, so dass aus kleinen Blößen schnell riesige Fallstricke werden.

Harald Schäfer neben Lia Wöhr und Wolf Schmidt

Der Regisseur im Zentrum aller künstlerischen und technischen Entscheidungen muss deshalb in jeder Hinsicht mit allen Wassern gewaschen sein. Wolf Schmidt hatte zwar Regie geführt - aber hauptsächlich im Radio und bei seinen Kinofilmen (die mit geringstmöglichem Aufwand realisiert wurden, und technisch völlig anders als Fernsehproduktionen im Studio abliefen).

Den Produktionsverantwortlichen beim Hessischen Rundfunk war jedoch schnell klar, dass da noch jemand her musste, der mit der Studiotechnik vertraut war und es gleichzeitig verstand, die Schmidtschen Wünsche in die technische Sprache des Aufnahmeteams zu übersetzen. Und das möglichst, ohne Schmidt spüren zu lassen, dass ihm jemand - reinredete.

Der Mann, der dieses Kunststück fertigbrachte, war der damals 28-jährige Harald Schäfer, der nicht nur die Hesselbachs als Co-Regisseur (und später als alleiniger Regisseur) "machte", sondern danach ein gesuchter und vielbeschäftigter Fernsehregisseur wurde, wobei er mit seiner "Augsburger Puppenkiste" ein weiteres Stück Fernsehgeschichte geschaffen hat.

Schäfer verstarb leider 2001. Ich freue mich aber, dass ich ihn hier - dank der Mitwirkung seiner Tochter Tanja - durch einen von ihm 1996 geschriebenen Text zu Wort kommen lassen kann.

Michael

Harald Schäfer beim Dreh für die Hesselbachs


In eigener Sache

von Dr. Harald Schäfer


80 Prozent der Regiearbeit geschieht, bevor man in das Atelier geht. Dort bestehen dann weitere 19 % in der psychologischen Kriegsführung, im Ausgleichen der Schauspieler und des recht umfangreichen Stabes und im behutsamen Angleichen der am grünen Tisch erarbeiteten Vorstellungen an die gegebenen Realitäten. Das verbleibende kleine, feine eine Prozent ist im Glücksfall der Glücksfall eines Funkens von Genialität. Dabei müssen dann aber - wie es eben nur bei einem Glücksfall sein kann - mehrere Faktoren kongruent werden; auf deutsch: Buch, Regie, Szenenbild, Schauspieler und Publikum müssen in hohem Maße zusammenfinden.

Die Vorarbeit

Halten wir uns zunächst an die 80 % Vorarbeit. Hier muss der Regisseur erst einmal all die zahlreichen Komponenten einer Produktion unter einen, am besten seinen, Hut bringen. Das fängt mit dem Buch an. Es muss - roh vom Autor kommend - gewissermaßen paniert werden. Da die Hesselbach-Folgen vorproduziert wurden und nicht direkt - »live« heißt der Fachausdruck (der sich wirklich mit »v« schreibt, obwohl er wie »life« ausgesprochen wird, weil er wahrscheinlich von »alive« abstammt) - zur Sendung kamen, mussten die einzelnen Bücher - und gewöhnlich wurden drei Folgen gleichzeitig in einem Produktionszeitraum hergestellt - in sogenannte Pensen und Takes eingeteilt werden.

Das Pensum für drei Tage bestand aus etwa 25 Buchseiten, was 15 bis 20 Minuten entspricht. Dieses Pensum unterteilte sich seinerseits in mehrere Takes, die den Gegebenheiten des Buches Rechnung trugen. Diese Einteilung war aber nur ein kleiner Anfang.

Die Kamereinstellungen

Harald Schäfers Buch
Zudem wurden jetzt schon fast haargenau die Kameraeinstellungen festgelegt. Da die - in der Regel drei, manchmal mehr - elektronischen Kameras mit Kabeln versehen sind, die sich ihrerseits im Studiobetrieb leicht verheddern können und dann schwer zu entwirren sind, gilt es diesen Punkt besonders sorgfältig zu bedenken. Jede Riesel-Iko-Kamera hatte anfangs zwei Aufnahmeoptiken. Das waren in der Regel die Brennweiten 75 für Großaufnahmen, 25 für den Nahbereich und 16 für die Totalen. Sie wurden vorab den einzelnen Kameras zugeteilt und auch zwischen den Takes oft ausgewechselt. Die anfängliche Riesel-Iko-Technik war in einem schmalen, relativ kleinen Gehäuse zuhause, und mit einem einzigen Hebel holte man die eine oder andere der beiden Linsen und regulierte damit gleichzeitig parallel die Schärfe.

Jeder Schuss - so heißt noch heute oft eine Kameraeinstellung - bekam bereits während dieser Vorarbeiten sein Objektiv zugeteilt. Natürlich bleiben im Studio noch genügend Gründe, diese erarbeiteten Resultate wieder umzuwerfen.

Das nennt man dann Probe.

Aus dem vorliegenden Buch erwachsen ganze Alpträume von Vorarbeiten. Da gilt es das Szenenbild zu besprechen, die Requisitenliste aufzustellen, Kostümabsprachen zu treffen, die Statisterie anzufordern, Filmaufnahmen festzulegen, Produktionsbesprechungen abzuhalten und last but not least die Rollen zu besetzen. Eine gute Besetzung ist die halbe Inszenierung.

Das Casting

Da viele Stammrollen für eine ganze Serie zu engagieren waren, mussten damals vor Produktionsbeginn zahlreiche Schauspielertests durchgeführt werden. Das war eine notwendige, wenn auch für beide Teile unangenehme Aufgabe. Wer hört es schon gerne, wenn man ihm sagt, er sei schließlich doch nicht der geeignete Typ für diese oder jene Rolle? Ich erinnere mich noch genau, wie ein erlauchtes Gremium - es bestand aus Wolf Schmidt, dem Hauptabteilungsleiter Fernsehen/ Unterhaltung Hans-Otto Grünefeldt, unserem Ausstattungschef Rudolf Küfner, dem damaligen Chefdramaturgen Helmut Krapp und mir - in der Regieloge zum Beispiel über Wohl und Wehe der Hesselbach-Kinder abstimmte.

Das Szenenbild

Das Szenenbild entwarf seinerzeit Rudolf Küfner, kurze Zeit später trat Hartmut Schönfeld an seine Stelle. Neben der damals recht altmodisch etablierten Wohnung im anzunehmenden ersten Stock über der Druckerei erstand das Sekretariat, das Chef- und Prokuristenzimmer, die Buchhaltung und die Setzerei. In der 19. Folge wurde die Wohnung renoviert und wesentlich moderner eingerichtet. Mit der neuen Serie »Herr Hesselbach und ...« sind dann Vater und Mutter Hesselbach sogar in ein eigenes Häuschen am Stadtrand gezogen, nachdem sie die Druckerei verkauft hatten.

Als der Inbegriff Hesselbach'schen Traditionsbewußtseins wanderte ein Möbelstück immer mit, bis es schließlich in der »gut Stubb« von Putzfrau Siebenhals landete: das alte, reichlich mit Schnitzwerk versehene, irrsinnig schwere und unbequeme, unmoderne, unpraktische und innig geliebte Buffett, das schon in den Kinofilmen als voluminöser Staubfänger gedient hatte. Dieses Buffett aus Schmidt'schem Privatbesitz stand also mit etwas Dekoration drumherum im Oktober 1959 im Studio 8 des Hessischen Rundfunks und wartete - mit vielem und vielen anderen zusammen - auf den Produktionsbeginn.

Die Doppelregie bei den Hesselbachs

Wissen Sie, was »Bunraku-za« ist? Ein japanisches Marionettenspiel, wobei die Puppen die Größe des menschlichen Körpers haben und jeweils von drei schwarz vermummten Männern geführt werden. Der eine bewegt den Kopf und den rechten Arm, der zweite den linken Arm, der dritte die Füße.

Doppelregie ist eine Art Bunraku-za. Jeder Vergleich hinkt. Auch dieser, denn beispielsweise ist der dritte Mann überzählig.

Dieses Spiel der vermummten Männer (sprich: Regisseure) erzielt erst dann einen gewinnbringenden Nutzen, wenn beide nach längerer Gewöhnung fast automatisch synchron arbeiten. Dann nimmt jeder dem anderen einen Teil der Arbeit und einen Teil der Verantwortung ab.

Im konkreten Fall der Hesselbachs sollte Wolf Schmidt die Dialogregie übernehmen und ich die Bildregie. Das klingt vortrefflich, kann aber in der Praxis verteufelt sein.

Harald Schäfer und Wolf Schmidt beim Dreh für die Hesselbachs


Man braucht eine längere Anlaufzeit, und ich gestehe offen: Anfangs gab es viele Reibereien. Gewitzte Schauspieler haben sich das in den ersten Produktionstagen oft geschickt zu Nutzen gemacht. Naturgemäß war ich in einer misslichen Lage, wenn es zu heimlichen oder gar - wenn auch sehr seltenen - offenen Auseinandersetzungen kam: mein Partner war der Autor, der Hauptdarsteller, der Co-Regisseur und der Ältere. Da ich als Steinbock eine ehrgeizige Mimose bin, muss es anfangs für Wolf Schmidt mit mir nicht immer angenehm gewesen sein. Es wäre ihm damals ein Leichtes gewesen, mich kurzfristig loszuwerden, aber eine unverbrüchliche Treue vom ersten Tag des gemeinsamen Kampfes an war eine der persönlichen Eigenarten von Wolf Schmidt. Vielleicht lag diesem Wetterauer Dickkopf und Besserwisser (geboren in Friedberg) dieser Vogelsberger Dickkopf und Besserwisser (geboren in Schotten). Ich kann nur in umgekehrter Richtung feststellen, dass unser Verhältnis sich damals in atemberaubendem Tempo verbesserte.

Nach wenigen Tagen bereits und nach einigen gemeinsamen Mittagessen bei Seppl Holler im nahen Marbachweg entstand eine prächtige, bis zuletzt währende Harmonie - privat wie beruflich.

Immerhin: wir haben auf Anhieb - nicht zuletzt dank der Doppelregie - die 45 bis 60 Minuten einer Folge in neun Tagen von der ersten Stellprobe bis zur sendefähigen Aufzeichnung bewältigt. Das war durchaus neu und keineswegs selbstverständlich. Der Samstag war übrigens noch ein voller Arbeitstag.

Das Studio

Erschwerend hinzu kamen die primitiven Verhältnisse eines Behelfsstudios. Studio 8 war der ein wenig zu groß geratene Name dafür. Man zitterte, wenn man über die baustellensumpfige Grabenlandschaft auf dieses Studio zusteuerte. Damals fing der Hessische Rundfunk damit an, die neuen Studios zu bauen und daneben und vor allem sein imposantes Fernseh- Verwaltungsgebäude, das sogar den berühmten »Hundehimmel« mit seinen goldenen Säulen überragt.

Dieser sogenannte Hundehimmel ist die Eingangshalle des Hessischen Rundfunks, die - der Wahrheit die Ehre - ursprünglich unserem Bundesparlament zugedacht war. Das zog allerdings nach Bonn, der Hessische Rundfunk dafür aus der Innenstadt zum Dornbusch. Und Hundehimmel heißt die Eingangshalle, weil jeder Hund davon träumt, einmal an goldenen Säulen - sie sind tatsächlich mit echtem Blattgold beschichtet - seine Notdurft verrichten zu dürfen.

Gigantisch waren die damaligen Bauarbeiten rundum, und wir armen Würstchen, die wir ja nur ein Programm machen wollten, waren dabei recht unbequeme Störenfriede. Zeitweise versuchte man uns den Zugang zum Studio abzuschneiden, und wir mussten in Selbsthilfe mit Bohlen mühsam einige Geheimpfade bauen, mit denen wir Gräben, Löcher, Baumaterialien und Abbruchgerümpel umständlich umgehen konnten.

Harald Schäfer mit Hesselbachs, Grzimek und dem Affen


Der Produktionsbeginn

Dennoch: der Start gelang. Die denkwürdigen ersten drei Folgen (»Das Dokument«, »Das Techtelmechtel« und »Der Kriminalfall«) wurden produziert.

Termingerecht. Zunächst befremdete, ja schockierte sogar viele Schauspielerkollegen das vorgelegte Arbeitstempo. Tempogeladene Arbeit muss aber nicht notwendigerweise unkünstlerisch sein. Sie kann vielmehr im Gegenteil gerade bei dem zur Sprache stehenden Sujet nutzbringend wirken. Tempo konzentriert, komprimiert und hält frisch. Zudem macht es die Grenzen zwischen Schauspielern verschiedener Perfektionsgrade fließend, was dem Gesamteindruck zugute kommt. In nuce sah das Hesselbach-Schema, das sicherlich vieles gegen sich, aber ganz bestimmt noch mehr für sich hatte, so aus:

Am ersten Tag wurden mit den Schauspielern, die ihren Text gut vorgelernt haben mussten, und mit den Kameras die einzelnen Takes durchgestellt. Jedes Bild eines Pensums von etwa 30 Seiten wurde genau festgelegt, jeder einzelne Schritt, jede Stellung eines Schauspielers, jede Position von Kamera und Mikrofon. Das hing dann aber doch immer irgendwo im Bild. Oder wenigstens der Mikroschatten verirrte sich störend in die Bildkomposition.

Es war dies ein Tag, der nur der Technik gewidmet wurde. In der Regel fanden bereits an diesem ersten Abend Schauspielerproben statt, manchmal auch erst am folgenden Abend nach einem Tag, der nur aus Durchlaufproben bestand. Dabei wurde jeder einzelne Take unzählige Male durchexerziert. Solange, bis er allen vor und hinter der Kamera in Fleisch und Blut übergegangen war. Allerdings galt an diesem Tag bereits das Hauptaugenmerk mehr dem Schauspieler als der Technik, die von Durchlauf zu Durchlauf perfektionierter vonstatten ging. Fehler gab es am dritten, dem Aufzeichnungstag, noch genügend.

Die Dreharbeit

Wir schluderten zwar nicht, aber wir waren auch nicht pedantisch. Wichtig war niemals etwa ein lächerlicher Mikrophonschatten, wenn dadurch wichtigere Komponenten, wie etwa eine spürbar gelungene Gesamtatmosphäre, hätten zurücktreten müssen. Am Ende des Aufzeichnungstages war ein Abschnitt des Stückes fertig produziert und entweder auf einem Filmstreifen oder einem Magnetband fixiert. Der Abend des dritten Tages gehörte gleichermaßen der Zerknirschung und der Vorbereitung auf den nächsten Tag, wo mit neuen heißen Stellproben - also mit Kameras - ein neuer Abschnitt einer Folge inszeniert werden musste.

Harald Schäfer und Wolf Schmidt beim Dreh für die Hesselbachs


Die Nachbearbeitung

Am Ende einer Produktionsperiode fuhren die Schauspieler nach Hause oder zu neuen Taten, der Stab zerstreute sich, der Regisseur aber begann nun mit den sogenannten Nacharbeiten. Die einzelnen Takes mussten zu einer Folge zusammengeschnitten, die Musik aufgenommen und schließlich zur Sprache gemischt, eventuelle Kürzungen vorgenommen werden.
Dann folgte - nach mehreren halbfertigen Vorführungen - die Endabnahme durch den Fernsehdirektor, der dann schließlich die Sendung zur Sendung freigab. Wenn sie ihm gefiel. Dem Regisseur gefiel sie in der Regel zu diesem Zeitpunkt nicht mehr.

Die Sendetermine

Aber unerbittlich näherten sich die festgesetzten Sendetermine. Am 22. Januar 1960 lief die erste Hesselbach-Fernsehsendung über die Bildschirme. Die folgenden Tage schlich ich mich immer in und durch den Sender - aber: der Start glückte. Bereits bei der zweiten Folge zeigte sich ein Phänomen. Von uns als etwas schwächere Sendung angesehen, kam gerade sie - das »Techtelmechtel« - besonders gut bei den Zuschauern an. Die ersten drei Folgen wurden zum Auftakt in einem 14tägigen Rhythmus ausgestrahlt, danach ging es dann in einen monatlichen Turnus über.


Auszug aus H. Schäfer: "Die Hesselbachs. Erinnerungen an eine erfolgreiche Familien-Serie aus den Anfangszeiten des Fernsehens", R. G. Fischer, 1996.
Mit freundlicher Genehmigung: Erben Harald Schäfer.


Harald Schäfer als Regisseur




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