2013-01-31

Lia Wöhr

Es gab wenige Personen, die für Wolf Schmidt eine so große Bedeutung hatten wie Lia Wöhr. Dies beruhte auf ihrer phänomenalen Vielseitigkeit, mit der sie immer dort einspringen konnte, wo es nötig wurde. Ihr ging es um die Erreichung der Ziele, auch wenn sie dabei Unangenehmes auf sich nehmen musste. Sie war in jeder beliebigen Funktion einsetzbar: Hinter dem Mikrofon, vor der Kamera und hinter den Kulissen. Gerade dort hat sie sich im Prinzip um alles gekümmert.

Dazu ist zu bedenken, dass die Vorbereitung und Durchführung von Dreharbeiten eine nicht unerhebliche Zahl von Menschen einbezieht, die alle ihre eigenen Vorstellungen, Empfindlichkeiten und Ansprüche haben: Handwerker, Lieferanten, Agenten, Statisten, Künstler, Stars und solche, die es gern wären, anhängliche Bewunderer und unerbittliche Bürokraten.

Es war Lia Wöhr, die Wolf Schmidt durch diesen organisatorischen Dschungel den Weg ebnete. Sie wurde Wolf Schmidts loyale Vertraute, seine Produzentin und somit sein unverzichtbarer Blitzableiter, Berater, Vertragspartner, Problemlöser, Caterer, Schutzengel und Zerberus. Sie hatte neben Wolf Schmidt die mächtigste Position im Team und war sich trotzem nicht zu schade, buchstäblich den Dreck wegzumachen.

Michael

Lia Wöhr


Zwischen Taktstock und Staubwedel

Lia Wöhrs Kurzbiografie

von Sabine Hock

Am 26. Juli 1911 wurde Elisabethe Anna Wöhr in Frankfurt am Main geboren. Sie wuchs mit zwei jüngeren Geschwistern im Gallusviertel auf, wo ihre Eltern eine Bäckerei betrieben. Schon früh nahm die Mutter die kleine Lia mit ins Theater. Das erste Stück, das das Mädchen im Frankfurter Schauspielhaus sah, war Schillers „Wallenstein“: „Ich verstand gar nichts“, bekannte Lia Wöhr in ihren Erinnerungen.

So schnell ließ sich eine wie sie jedoch nicht abschrecken. Und als dann einmal „Salome“ von Richard Strauss auf dem Spielplan stand, war Lia so fasziniert vom Tanz der sieben Schleier, dass sie beschloss, Tänzerin zu werden. Von der Mutter erbettelte sie, künftig zur Ballettstunde gehen zu dürfen. Nach zwei Jahren jedoch erklärte der Ballettmeister der Mutter, dass aus der Lia bei aller Begabung nie eine Primaballerina werden würde: „Dafür ist sie zu schwer!“ Stattdessen schlug er vor, sie auf eine Schauspielschule zu schicken: „Aus der wird bestimmt einmal eine prachtvolle komische Alte!“ Die Mutter, ganz bodenständige Bäckersfrau, erwiderte nur: „Und was macht sie in der Zwischenzeit?“

Lia Wöhr sollte noch allerhand „machen“. Ab 1927 besuchte sie die Schauspielschule ihrer Heimatstadt. Sie wurde Schauspielerin, Ballettmeisterin und Dirigentin, arbeitete als Operettensoubrette, Kabarettistin, Souffleuse, Conferencière, Alleinunterhalterin, Hörfunksprecherin, internationale Opernregisseurin und preisgekrönte Fernsehproduzentin.


Eine Lehrzeit im Kasten

Nach ersten Engagements in Halberstadt, Annaberg, Bad Helmstedt und Berlin kehrte Lia Wöhr 1935 nach Frankfurt zurück, wo sie bei den Städtischen Bühnen anfing. Zunächst in kleineren Komödienrollen am Schauspielhaus eingesetzt, sammelte sie als Souffleuse bei der Oper reichliche Erfahrungen. Sie blieb im „Kasten“, bis der Theaterbetrieb 1944 kriegsbedingt eingestellt wurde.

Nebenbei studierte sie Komposition, Klavier und Dirigieren an der Musikhochschule, und während des Krieges begleitete sie als Regieassistentin die Frankfurter Oper auf deren Auslandsgastspielen nach Rumänien, Bulgarien, Frankreich und Spanien.

Hessemädche trifft Hessebub

Nach Kriegsende trat Lia Wöhr als Alleinunterhalterin in Revueprogrammen für die amerikanischen Besatzungstruppen und später auch für die deutsche Zivilbevölkerung auf.

Für den neu gegründeten Frankfurter Sender, den späteren Hessischen Rundfunk, erfand sie ihre Rolle als „Hessemädche“. Das Rüstzeug dafür hatte sie sich in dem Stimmungslokal „Maier Gustl’s Oberbayern“ geholt, wo sie in oberhessischer Tracht erschien, improvisierte, sang und vier Instrumente – Sopransaxophon, Klarinette, Trompete und Akkordeon – spielte. Das „Hessemädche“ kam über zwei Jahre lang gut bei den „Bunten Nachmittagen“ im Radio an.

Auf den „Bunten Nachmittagen“ lernte das „Hessemädche“ Lia einen „Hessebub“ kennen, der in ihrem Leben noch eine große Rolle spielen sollte: Wolf Schmidt. Sie hatten einiges gemeinsam: Beide hatten „für die Amerikaner getingelt“ und sich ein Publikum geschaffen - zuerst auf kleinen Bühnen, dann auf Bunten Abenden. Und beide hatten es geschafft, sich beim Radio zu etablieren. Wolf und Lia erkannten schnell ihre gegenseitigen Qualitäten. In ihrer Autobiografie erinnerte sie sich, zusammen Sketche gespielt und an Texten gearbeitet zu haben.

Lia Wöhr als Mamma im Studio (Radio)


Die Gründung der Familie

Wolf Schmidt hatte bei Radio Stuttgart mit der „Familie Staudenmaier“ 1948 einen großen Wurf gelandet - auf Schwäbisch! Als der Frankfurter Sender sich für eine Aufnahme dieser Hörspielserie in Hessisch entschied, war Lia Wöhr gleich mit von der Partie. 1949 wurde die „Familie Hesselbach“ gegründet, und Lia Wöhr übernahm zunächst die Rolle der Tochter Anneliese, für die sie mit inzwischen 38 Jahren eigentlich zu alt war. Von der zweiten bis zur 77. und letzten Folge 1956 sprach sie dann die „Mamma Hesselbach“, deren legendärem „Kall, mei Drobbe!“ sie die angemessene Stimmkraft verlieh.

Ganz nebenbei baute sich Lia Wöhr eine internationale Karriere als Opernregisseurin auf. Von 1951 bis 1962 war sie mit ihren Inszenierungen, insbesondere der Werke von Richard Wagner, in Italien, Spanien, Portugal, Brasilien, England und Irland zu Gast.


Die Produzentin

Lia Wöhr am Set


Lia Wöhr


Autogrammkarte von Lia Wöhr

Die gute Zusammenarbeit bei den Hesselbach-Radioproduktionen fand eine Fortsetzung, als Wolf Schmidt 1954 begann, auf eigene Kosten die Hesselbachs als Kinofilme zu produzieren. Wolf engagierte Lia wieder - aber als Produktionsleiterin, nicht als Mamma. Sie spielte in den Filmen vor der Kamera Nebenrollen, dahinter aber war sie Wolf Schmidts wichtigste und mächtigste Mitarbeiterin. Von der Drehplanung bis zur Besorgung von Requisiten kümmerte sie sich um alles und päppelte sogar das erschöpfte Filmteam mit hessischer Hausmannskost auf – zubereitet von ihrer Mutter.

1955, gleich im Anschluss zu den Hesselbach-Dreharbeiten am Bodensee, erhielt Lia Wöhr ihre erste „Putzstelle“ beim HR: In der Unterhaltungssendung „Auf ein frohes Wochenende“ klaubte sie als Putzfrau Hippenstiel über 500 Folgen lang weggeworfene Schallplatten aus dem Papierkorb, was sie natürlich nie still und stumm erledigte.

Als die Hesselbachs ab 1959 ihren Weg ins Fernsehen fanden, übernahm Lia Wöhr wieder die Rolle der Produzentin - und die der Putzfrau gleich mit, in beiden Disziplinen bestens geübt. Lia Wöhr sorgte nun als festangestellte Produzentin des Hessischen Rundfunks für die organisatorische Umsetzung der Hesselbachs - und vieler anderer Produktionen. Und das mit derartiger Umsicht und Geschick, dass sie es innerhalb der komplizierten Hierarchie, die öffentlich-rechtliche Sendeanstalten an sich haben, zu einer Sonderstellung brachte, die einzigartig war und es auch bleiben sollte. Nicht nur, dass sie die erste weibliche Produzentin beim deutschen Fernsehen überhaupt war: Niemand sonst hatte beim Hessischen Rundfunk jemals wieder als Produzent einen derart großen Einfluss auf die Programmgestaltung wie die bekannteste Putzfrau des Senders.

Die Prominente

Nachhaltige Berühmtheit errang Lia Wöhr auch durch ihre Fernsehauftritte in der - natürlich von ihr produzierten - Unterhaltungssendung „Zum Blauen Bock“. Dort dirigierte sie von 1966 bis 1987 als resolute Frau Wirtin im feschen Dirndl ihre beiden „Kellner“ Heinz Schenk und Regnauld („Reno“) Nonsens.

Nach ihrer Pensionierung beim HR 1976 trat Lia Wöhr im Volkstheater Frankfurt auf, das ihre Nachfolgerin als „Mamma Hesselbach“, Liesel Christ, inzwischen gegründet hatte. Auch der Hesselbach-Fernsehsohn Dieter Henkel engagierte sie für sein „Theater unterwegs“, zuletzt als Bibbo in Zuckmayers „Katharina Knie“. Auch im HR war sie weiterhin zu sehen: Sie moderierte die „Hessen-Rallye“ und beriet Hörer und Zuschauer als Briefkastentante „Frau Löhlein“ mit hessischem Witz in den „drängendsten“ Alltagsfragen.

Trotz einiger gesundheitlicher Malaisen war sie bis zuletzt auch immer wieder in kleineren Fernsehrollen, zum Beispiel im „Tatort“, zu sehen.
Lia Wöhr verstarb am 15. November 1994.


Neufassung des Features in PRESSE.INFO, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, vom 19. Juli 2011 zum 100. Geburtstag von Lia Wöhr.
Dr. phil. Sabine Hock arbeitet als freie Autorin und Journalistin.
www.sabinehock.de



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