2013-06-30

Die Familie Hesselbach im Radio

Für die meisten sind die Hesselbachs heute eine Nostalgie-Serie im Fernsehen. Ein hessischer Kult in Schwarzweiß - Sechzigerjahre - Wirtschaftswunder. Doch die Originalfamilie war ein Straßenfeger im Radio - in der kargen Nachkriegszeit und den Fünfzigerjahren - mit einer entsprechenden Werteskala. Es herrschte eine völlig andere Atmosphäre (sowohl im technischen als auch im gesellschaftlichen Sinn) und deshalb sind eigentlich die Hörfunk- und die Fernsehfamilie ganz unterschiedliche Familien. Radioapparat der 1950er JahreFür den Autor Wolf Schmidt bot die Fernsehreihe zwar die Möglichkeit, bereits umgesetzte Stoffe neu - und pointierter - zu realisieren, was in vielen Fällen sehr gut funktionierte. Unter den Hesselbach-Kennern gibt es jedoch auch solche, die der Radioserie den Vorzug geben.

Es sind nicht mehr alle Radiofolgen vorhanden, und die verbleibenden wurden - im Gegensatz zur Fernsehreihe - im hr praktisch nicht mehr wiederholt. Es ist also recht wenig bekannt über die Radio-Hesselbachs. Umso erfreulicher, dass Sabine Hock sich mit diesen "vergessenen" Hesselbachs befasst hat und dabei so einige Besonderheiten herausbekam.

Michael

Übersicht


Familie Hesselbach im Hörfunk


Die Radiofamilie Hesselbach

von Sabine Hock


Am 17. September 1949 stellte sich die Familie Hesselbach vor: „Hesselbachs ihrn Hausschlüssel“ hieß die allererste Folge der Serie, die an jenem Samstagnachmittag im Radioprogramm des Hessischen Rundfunks lief. Die Sendung war eine Live-Aufzeichnung von einem der beliebten „Bunten Nachmittage im Funk“, bei dem sich die Urfamilie vor Publikum am Mittagstisch versammelt und ihre erste Episode aus dem Alltagsleben gespielt hatte. Bei diesem „Probelauf“ sollte getestet werden, wie die Hesselbachs bei den Hörern ankommen würden. Noch war die Stammfamilie nicht gefunden. Die Herren Hesselbach standen zwar von Anfang an fest. Wolf Schmidt, der Autor und geistige Vater der Hesselbachs, spielte die Rolle des leiblichen Babbas selbst. Dieser Karl Hesselbach, „Prokurist einer angesehenen Firma“, wie er bei jeder passenden und auch nicht passenden Gelegenheit betont, ist unbestritten das Oberhaupt der Familie. Den 17-jährigen Sohn Willi sprach von Anfang an der junge Schauspieler Joost-Jürgen Siedhoff. Aber bei den Frauen der Familie, vor allem im Falle der 20-jährigen Tochter, gab es offenbar Besetzungsschwierigkeiten. Zunächst übernahm daher Anny Hannewald, eine beliebte Volksschauspielerin von den Städtischen Bühnen in Frankfurt, den Part der Mamma, obwohl sie mit 67 Jahren eigentlich zu alt dafür war. Auch die 38-jährige Lia Wöhr als Tochter Anneliese war in der ersten Folge ganz und gar nicht alters- und typgerecht besetzt.

Lia Wöhr

Die Probesendung ging nichtsdestotrotz erfolgreich über die Bühne und den Sender. Die Hesselbachs wurden in Serie produziert, ab der zweiten Folge im Studio und in der perfekten Besetzung: Nachdem für die Tochter Sofie Engelke gefunden war, avancierte Lia Wöhr zur Mamma „Marieche“ Hesselbach, zum Urbild der hessischen Mutter in den Medien, das sie übrigens deutlich anders anlegt als später Liesel Christ in der Fernsehfassung. Die Radio-Mamma ist eine Frau, die durchaus in der Lage ist, ihren Mann zu stehen – was sie in den Kriegsjahren, als ihr Karl an der Front stand und sie sich und ihre Kinder allein durchbringen musste, bewiesen hat. Geblieben ist ihr eine gewisse Couragiertheit, die sie auch in den andauernden Streitigkeiten mit ihrem Mann an den Tag legt. Letztlich geht aus diesen Wortgefechten zwar meist der Babba als Sieger hervor. Wenn sich Mamma jedoch gar nicht mit den Gegebenheiten abfinden kann, hat auch sie ihre Mittel und Wege, um ihren Willen durchzusetzen: Sie bekommt in solchen Fällen einfach einen Herzanfall. Der Schlachtruf „Kall, mei Drobbe!“, der heute im Hessischen sogar redensartlich geworden ist, dürfte somit von Lia Wöhr als Radio-Mamma Hesselbach kreiert worden sein. Liesel Christ, der Fernseh-Mamma, der diese Worte gern unterstellt werden, hat sie in der Serie nie gesagt.

Hessische Identität

Auf die Idee des Autors Wolf Schmidt für eine Familienserie im Radio hatte der Frankfurter Sender zunächst zumindest skeptisch, wenn nicht gar ablehnend reagiert. Schmidt hatte seine Serie daher zuerst (ab 1948) als „Die Familie Staudenmaier“ bei Radio Stuttgart angebracht. Dass die Familie Hesselbach beim neu konstituierten Hessischen Rundfunk (hr) fast ein Jahr später doch in Serie gehen durfte, lag an dem identitätsstiftenden Auftrag des jungen Senders. Der Frankfurter Sender, als „Südwestdeutscher Rundfunk“ 1924 gegründet, hatte seinen Sendebetrieb bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, noch im Sommer 1945, als „Radio Frankfurt“ unter alliierter Kontrolle wiederaufnehmen können (siehe hierzu auch Grußwort des hr-Intendanten). Aus „Radio Frankfurt“ war dann der Hessische Rundfunk hervorgegangen, der am 2. Oktober 1948 als öffentlich-rechtliche Sendeanstalt errichtet und am 28. Januar 1949 aus der alliierten Kontrolle entlassen wurde.

Das Sendegebiet entsprach dem Territorium des – erst durch die amerikanische Besatzungsmacht geschaffenen – Bundeslands Hessen, und der hr sollte dazu beitragen, dass sich bei den Hörern dieses Gebiets ein hessisches Bewusstsein entwickelte. In diesem Sinne sollten auch die Hesselbachs wirken, die nicht nur eine Alltagschronik einer typischen hessischen Familie lieferten, sondern auch „hessisch“ sprachen. Durch die Sendeform der Serie wurde zugleich eine Bindung der Hörer an den Sender und somit indirekt auch an ihr Bundesland erreicht. Dass die Hesselbachs ihre Heimat Frankfurt nicht verleugnen konnten und eher in einer südhessischen Regionalsprache „babbelten“, erschwerte allerdings die Identifikation für die nordhessischen Hörer. Immerhin stießen Mamma und Babba ganz am Ende ihres Medienlebens 1967 bis ins oberhessische Schlitz vor, aber bis Kassel kamen sie nicht. An der verzögerten Integration Nordhessens dürften also die Hesselbachs nicht ganz unschuldig sein. Sie trugen dazu bei, dass oft Hessen mit dem Rhein-Main-Gebiet und Hessisch mit Südhessisch assoziiert und gleichgesetzt wurden – und noch werden.

Probenszene


Straßenfeger im Radio

Schon zu ihren Radiozeiten war „Die Familie Hesselbach“ ein echter Straßenfeger, wenn auch noch – anders als in ihrer späteren Fernsehzukunft – durch das Sendegebiet regional begrenzt. Die Episoden aus dem Alltag der hessischen Familie, die seit dem Serienstart im Herbst 1949 mindestens einmal monatlich (außer in der Sommerpause) auf dem Programm standen, erzielten Spitzen-Einschaltquoten von 75 % und mehr in Hessen. Bis zum Frühjahr 1953 liefen 47 Folgen der „Familie Hesselbach“ im Radio. Danach wollte sich der „Vater“ (im doppelten Sinne) in den Ruhestand verabschieden. Auf massiven Druck der Hörer wurde die Serie doch fortgesetzt, zunächst mit einer Staffel „Prokurist a. D. Hesselbach – Büro für Lebensberatung“ in zwölf Folgen 1953/54, dann mit der Anschlussserie „Hesselbach GmbH“ in 18 Folgen 1954-56. Mit dem „Konkurs“ der Firma am 11. März 1956 verabschiedeten sich die Hesselbachs nach insgesamt 77 Folgen endgültig von den Radiohörern.

Bis heute ist die Radioserie ein Hörgenuss. Als das Erfolgsgeheimnis der Hesselbachs wird immer wieder die Qualität der Dialoge in ihrer absurden Realitätsnähe angesehen, die durch die brillante Authentizität der Sprecher, ja selbst der kleinsten Stimmcharge unterstützt wird. Überraschenderweise erinnerten sich viele zeitgenössische Hörer, vor allem der jüngeren Generation, an eine ganz andere Faszination, die das Leben der Radiofamilie auf sie ausübte. Sie erzählten, wie sie als Kinder oder Jugendliche in der Nachkriegszeit voller Bewunderung und auch Neid vor dem Radio saßen – weil es den Hesselbachs so gut ging. Während sie selbst zu viert und mehr in einem einzigen Zimmer beengt hausen mussten, hatten die Hesselbachs eine eigene Vier-Zimmer-Wohnung, also eigentlich ein Zimmer für jedes der vier Familienmitglieder! Gerade in Frankfurt, wo die Hesselbachs der Radioserie offenbar lebten, war die Wohnungsnot nach den schweren Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs noch bis in die Sechzigerjahre hinein eines der drängendsten Probleme.

Radiorealitäten

Den Hesselbachs geht es besser als vielen, wenn nicht gar den meisten deutschen Familien in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die vierköpfige Familie lebt in einer größeren hessischen Stadt, die namentlich nicht genannt wird, aber leicht als Frankfurt erkennbar ist. Sie hat eine Vier-Zimmer-Wohnung (mit einem Elternschlafzimmer, einem Wohnzimmer, Annelieses Zimmer und Willis – wenn auch kleiner – Kammer) gemietet, die mit ihren Vorkriegsmöbeln eingerichtet ist. Dennoch bricht auch in dieses kleinbürgerliche Idyll immer wieder die Realität des Alltags in der unmittelbaren Nachkriegszeit herein, die für die Hörfunkfolgen der Hesselbachserie prägend ist. Schon in der allerersten Szene am Mittagstisch sind die schlechten Zeit in einer Diskussion um das Essen präsent: Es entfacht sich ein Streit um die Eier in der Grünen Soße, nach denen Willi und Babba „fischen“ – was aus heutiger Sicher eher harmlos komisch wirkt, damals aber den ganz handfesten Hintergrund hatte, dass Eier oder gar Fleisch aus Kostengründen nur relativ knapp und selten auf den Tisch kamen.

Auch das Glück der eigenen vier Wände können die Hesselbachs in Zeiten der Zwangsbewirtschaftung von Wohnraum nicht immer unangefochten genießen. So wird ihnen zu Weihnachten 1949 kurzfristig eine Vertriebenenfamilie einquartiert. Die Hesselbachs nehmen diesen Umstand schon wegen der damit verbundenen Ungelegenheiten zunächst sehr übel auf und kommentieren das Ereignis in einer ihrer üblichen Debatten mit den gängigen Vorurteilen, bis sie die einquartierte Familie mit zwei kleinen Kindern näher kennenlernen, angesichts von deren Not doch mitleidig gestimmt werden und helfend eingreifen. Diese Hesselbach-Episode ist jedoch mehr als ein Plädoyer für die Nächstenliebe und damit eine echte Weihnachtsgeschichte. Sie ist ein offener Appell für die Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen. Damit erfüllt sie den erzieherischen Anspruch der Alliierten an das Medium Radio in dem neu geschaffenen demokratischen Staat der Bundesrepublik Deutschland, der auch und gerade für Unterhaltungssendungen galt.

Offenbar hielten die Rundfunkverantwortlichen die Weihnachtssendungen für besonders geeignet, auf Versöhnungen aller Art hinzuwirken. In einer späteren Weihnachtsgeschichte der Hesselbachs löst ein „Weihnachtsgast“ aus Frankreich, gesprochen von dem damals schon beliebten Schauspieler und Moderator Hans-Joachim Kulenkampff, bei Hesselbachs die Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit und die Versöhnung mit Frankreich aus (1951).


Die klassische Vaterfigur im Wandel

Ziemlich zeitgleich mit dem neuen Staat der Bundesrepublik Deutschland starteten die Hesselbachs in ihre Geschichte. Sie repräsentierten eine typisch (west)deutsche Kleinfamilie. Dank der wirtschaftlichen Position des Vaters, eines mittleren Angestellten, ist zunächst das kleinbürgerliche Milieu gewahrt. Der Babba ist anfangs noch ganz als traditioneller Familienpatriarch angelegt, dessen uneingeschränkte Autorität vor allem von Mamma den Kindern gegenüber vertreten wird. „Der Babba ist ein solider Mann“ (und immer vor zehn Uhr daheim), sagt Mamma in der allerersten Hörfolge, weshalb er niemals den Hausschlüssel brauche – was der Gepriesene dann höchstselbst konterkariert, indem er keinen Augenblick später in Hut und Mantel auftritt und den Hausschlüssel fordert. Überhaupt ist es oft Babba selbst, der durch sein teils kleinbürgerliches, teils stures Verhalten seine Vormachtstellung bei seiner Familie ebenso wie bei den Hörern ins Wanken bringt.

Im Regieraum beim Hessischen Rundfunk


Im Lauf der Serie öffnete sich der Vater zunehmend der Nachkriegswelt, deren Wandel er nun mit Neugier, Toleranz und Pragmatismus begegnete. Die humanistische Bildung, die er offenbar genossen hat, nützte ihm anfangs wenig: Auch wenn er nächtliches Hundegebell metrisch zu analysieren vermochte, so verhalf ihm das nicht zu äußerer und innerer Ruhe. Erst im Laufe der Serie entwickelte dieser Karl Hesselbach aufgrund seiner humanistischen Grundhaltung eine gewisse Souveränität. Allmählich wurde er zum Verfechter einer Alltagsphilosophie des gesunden Menschenverstands, der vielen seiner Zeitgenossen, seinem Publikum, aus dem Herzen sprach. Diese Entwicklung der Babba-Rolle schlug sich bereits in der Handlung der Hörfunkfolgen ganz direkt nieder, als die „Familie Hesselbach“ 1953 ihren Abschied nahm und Vater Hesselbach kurz darauf ein „Büro für Lebensberatung“ eröffnete. In der Fernsehserie hat der Vater das Kleinbürgerliche endgültig abgeschüttelt; nun war er Chef eines mittelständischen Druckereibetriebs und Verleger der regionalen Wochenzeitung „Weltschau am Sonntag“ und durfte als solcher frei über alle möglichen Fragen des Lebens monologisieren.

Probenszene


Dramaturgische Kniffe im Familienleben

Die beiden Hesselbach-Kinder, Tochter Anneliese und Sohn Willi, anfangs 20 und 17 Jahre alt, wurden im Laufe der Serie erwachsen. Anneliese, die als Büroangestellte in einem Modesalon arbeitet und dadurch zum Familieneinkommen beiträgt, fügt sich meist in die Rolle der braven Tochter und tritt, im Gegensatz zu ihrem eher „leichtsinnigen“ jüngeren Bruder, sehr „vernünftig“ auf. Gleich in der allerersten Folge muckt sie allerdings doch einmal auf, als Mamma sie abends nicht fortgehen lassen will: „Du warst erst vorig Woch im Kino!“ Die komische Übertreibung birgt auch hier ein Körnchen Wahrheit. Selbstverständlich waren bei Hesselbachs die gutbürgerlichen Gebote von Sitte und Anstand einzuhalten. Dementsprechend durften Jugendliche nicht so oft ausgehen, und wenn es ihnen einmal gestattet wurde, so mussten sie beizeiten wieder daheim sein, damit nicht der Eindruck entstünde, sie würden sich „herumtreiben“. Selbst wenn Anneliese schon 21 und damit nach damaligem Recht volljährig gewesen wäre, hätte sie wohl kaum mehr Freiheit genossen. Insbesondere junge Mädchen mussten schließlich auf ihren guten Ruf achten. Viele verlobten und heirateten auch deshalb so früh, um dadurch eine gewisse Unabhängigkeit (von den Eltern) zu erlangen.

Auch Hesselbachs Tochter verlobt sich schon in der 9. Radiofolge, was dem Autor Wolf Schmidt die Gelegenheit gab, die familiären Folgen des Frauenüberschusses in der Nachkriegszeit in Szene zu setzen. Allzu schnell durfte Anneliese ihren Hans jedoch nicht heiraten. Denn noch brauchte der Autor die Tochter als Figur in seinen Familiengeschichten. Deshalb wurde der Bräutigam erst einmal zu einem Auslandsaufenthalt nach Frankreich geschickt, wo er sich nicht nur beruflich bewähren, sondern auch finanziell verbessern sollte. Anneliese bleibt solange bei den Eltern wohnen und weiterhin berufstätig, um ebenfalls für ihren späteren Hausstand sparen zu können. Hansens Frankreichaufenthalt brachte zugleich Stoff für neue Geschichten, in denen es um Liebeskummer und Eifersucht geht.

Erst nach fast dreijähriger „Verlobungszeit“, in der 42. Folge vom 1. Februar 1953, heiratet Anneliese endlich ihren Hans. Die Eltern Hesselbach, die inzwischen nicht vom allgemeinen Wirtschaftswunder ausgeschlossen blieben, können sich nun zusammen mit dem jungen Ehepaar ein eigenes Häuschen leisten („Das Häuschen“, 46. Folge vom 26.4.1953). Als Anneliese schließlich Zwillinge erwartet, gibt Babba sogar seine geliebte Stellung als „Prokurist einer angesehenen Firma“ auf und lässt sich pensionieren, um sich künftig ganz seinem neuen „Beruf“ als Großvater widmen zu können („Der neue Beruf“, 47. Folge vom 10.5.1953). Damit, so wollte es der Autor Wolf Schmidt, sollte die Geschichte der Familie Hesselbach eigentlich enden. Die FAZ berichtete am 1. Mai 1953 über seine neuen Pläne: Im Herbst erscheint dann eine neue Sendung, von der bisher nur der Arbeitstitel ‚Die kleine Stadt’ zu erfahren gewesen ist. Ehrlich gesagt, weiß Wolf Schmidt selbst noch nicht, was er in der neuen Sendung im einzelnen produzieren will. Nur die große Linie liegt fest: Alltagsgeschichten im bekannten ‚Exporthessisch’, die in diskreter Form einen kleinen Schuß Moral enthalten.
Auf vielfachen Hörerwunsch griff Wolf Schmidt dann doch wieder auf die Hesselbachs zurück. Möglicherweise hat er einfach das Personal aus der alten in die bereits grob geplante neue Serie verpflanzt. Schon wenige Monate später, ab dem 25. Oktober 1953, ging es jedenfalls mit einer neuen Staffel weiter, die den Titel trug: „Prokurist a. D. Hesselbach – Büro für Lebensberatung“. Darin betätigt sich Babba, den sein neuer Beruf als Großvater doch nicht ausfüllte, als „Lebensberater“, der – ähnlich wie ein Briefkastenonkel in den Illustrierten – seinen Mitmenschen bei allen möglichen Problemen des alltäglichen Lebens (von Nachbarschaftsstreitigkeiten bis zu Ehekrächen) mit Rat und Tat zur Seite steht. Aber schon nach zwölf Folgen 1953/54 hatten sich die Stoffe dafür erschöpft.

Personalfragen

Sofie Engelke und Wolf Schmidt

Zur weiteren Fortsetzung der Serie in einer dritten Staffel musste der Serienschreiber Wolf Schmidt mehr als einen kühnen Griff tun. Zunächst sorgte er für neue Stoffe, indem er die „Hesselbach GmbH“ gründete und den Babba ins Berufsleben zurückschickte („Die neue Firma“, 60./1. Folge vom 28.11.1954). Dieser Schritt wurde den Hörern mit der Begründung „verkauft“, dass Babba eigentlich noch viel zu jung und zu fit fürs bloße Rentnerdasein sei, sich deshalb eine neue Aufgabe gesucht und eine eigene Firma (eine Verlagsdruckerei, die auch eine eigene Wochenzeitung herausgibt) erworben habe.

Um das richtige Personal für seine Firma zu kriegen, musste sich Schmidt aber noch viel mehr einfallen lassen. Zunächst musste er die Tochter Anneliese loswerden. Sie wird mit ihrer Familie einfach nach Frankreich geschickt, wo Hans seine Karriere als Ingenieur fortsetzt. Und dadurch wird es dem vitalen Babba natürlich noch langweiliger, weil er seinen „neuen Beruf“ als Großvater gar nicht mehr ausüben kann. Der eigentliche Grund für den Ausstieg der Tochter war aber ein ganz „serienpraktischer“: Die Sprecherin der Anneliese, die Schauspielerin Sofie Engelke, wurde für die Rolle der Firmenangestellten Frieda Lahrmann gebraucht, zumal nur ein eingeschränktes Kontingent an Sprechern, die des Hessischen mächtig waren, zur Verfügung stand.

Umso lieber wollte Schmidt den Sohn Willi zurückholen, da er als Juniorchef und Prokurist zahlreiche Handlungsmöglichkeiten mitbringen würde. Willi Hesselbach, der bei Serienbeginn noch als hessischer Halbstarker die „Maschinebauschul“ besucht hatte, war inzwischen mit seiner jungen Frau Angelika nach Stuttgart gezogen, um dort Karriere zu machen. Den Willi heim in die väterliche Firma zu locken, war für einen Serienprofi wie Wolf Schmidt kein Problem, zumal Willis Sprecher, Joost-Jürgen Siedhoff, gerne wieder zu den Hesselbachs kommen wollte. Doch für Willis Frau war kein Platz im Betrieb; ihre Sprecherin, die Schauspielerin Irene Marhold, wurde dringender für die Rolle der kleinen Angestellten Fräulein Pinella gebraucht.


Schmidt, Marhold, Engelke


Kurzerhand musste Willi sich scheiden lassen. Ohnehin hatte es in seiner Ehe schon länger gekriselt, was seinem Vater in der vorangegangenen Serienstaffel ausreichend Stoff zur Lebensberatung in der eigenen Familie geliefert hatte. Das Erstaunliche daran ist natürlich nicht, dass es die Ehescheidung auch in den prüden Fünfzigern schon gab, sondern dass die Ehescheidung in einer unterhaltenden Familienserie im Radio thematisiert wurde. Die Hörer mussten einfach schlucken, dass bei Hesselbachs nicht nur geheiratet, sondern auch geschieden wurde. Allerdings wäre es ein Unding gewesen, wenn Willi, was nach damaligem Recht noch möglich gewesen wäre, „schuldig“ geschieden worden wäre. Ausdrücklich gibt Willi selbst keinem der Beteiligten die Schuld („Wir haben eben viel zu jung geheirat!“), obwohl er – ganz großzügiger Verlierer – erwähnt, dass seine geschiedene Frau sich anderweitig verheiraten will. So kann er als strahlender hessischer Held in die Serie zurückkehren. Seine Beliebtheit bei den Hörern blieb ungebrochen; vielmehr werden vor allem manche Hörerinnen sogar Mitleid mit dem sympathischen Hesselbach jr. gehabt und ihm eine neue, bessere Liebesbeziehung von Herzen gegönnt haben.

Tatsächlich findet Willi in der neuen Firma bald die Richtige, seine Sekretärin Helga Schneider (Julia Costa), die er aber natürlich erst nach allerhand serientypischen Verwicklungen, wie sie zu jener Zeit wiederum nur ein unverheirateter Prokurist provozieren kann, „kriegt“. Nach zehn Folgen stieg Joost-Jürgen Siedhoff, wie später in der Fernsehfassung auch, aus der Firmengeschichte aus. Seinen Job als Prokurist überließ er einem Herrn Daisendorf, gesprochen von dem Schauspieler Otto Stern, der dann in der Fernsehfirma als Herr Zimmermann die Setzerei leitete.


Familienbild


Vom Radio ins Fernsehen

Am 11. März 1956 lief die 77. und letzte Folge der Hesselbachs im Radio. Damals war es nicht unüblich, erfolgserprobte Sendungen aus dem Hörfunk in das Fernsehen zu übernehmen. Unter dem Intendanten Eberhard Beckmann, der an der Gründung der ARD (1950) maßgeblich beteiligt war und die Entwicklung des Fernsehens in Deutschland entscheidend förderte, hatte sich auch der Hessische Rundfunk verstärkt diesem neuen Medium zugewandt. Am 7. November 1953, ein halbes Jahr nach dem Anschluss des hessischen Sendegebiets an das Gemeinschaftsprogramm der westdeutschen Rundfunkanstalten, bestritt der Frankfurter Sender sein erstes vollständiges Abendprogramm im Deutschen Fernsehen. Im Mittelpunkt des Abends stand das Städtequiz „Wer gegen wen“ mit Hans-Joachim Kulenkampff, das bereits aus dem Radio bekannt und beliebt war.

Den Sendeplatz der Familienserie im Fernsehen hielt seit 1954 jedoch die vom NWDR produzierte „Familie Schölermann“ besetzt. Da das Deutsche Fernsehen noch bestrebt war, jegliche „Wiederholung“ zu vermeiden, fanden die Hesselbachs erst ein paar Jahre später ihren Weg auf den Bildschirm, wo sie zunächst auch nicht als Familie, sondern als Firma auftreten durften. Im Fernsehen ging es im Januar 1960 also eigentlich mit dem Schluss der Radioserie los. Ansonsten hat es alles, was die Hesselbachs nun bundesweit zum Kult machte, schon vorher im Radio gegeben, den röhrenden Hirschen ebenso wie das Dreckrändche an Mammas Milchdippche.

Dr. phil. Sabine Hock arbeitet als freie Autorin und Journalistin.
www.sabinehock.de



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